1000 neue Wohneinheiten für Zehlendorf

Der letzte Thrill: Die Luxusversiegelung

Auf diesem Brachland sollen bald 111 neue Eigentumswohnungen mit "gehobener Ausstattung" entstehen.
Auf diesem Brachland sollen bald 111 neue Eigentumswohnungen mit "gehobener Ausstattung" entstehen.
In Dahlem und Zehlendorf Mitte entstehen im Umkreis von rund fünf Kilometern gerade bis zu 1000 neue Wohneinheiten "mit gehobener Ausstattung". Die CDU begrüßt diese Entwicklung, die SPD befürchtet soziale Ausgrenzung, und ein neues Wohnraumbündnis fordert Milieuschutz.

Die letzten Bäume werden in diesen Tagen gefällt, Sträucher und Büsche entfernt, und dann werden bald die ersten Bauarbeiter auftauchen. Bisher ist nur der Showroom des Nürnberger Immobilienunternehmens Project IC zu sehen, aber das wird sich schnell ändern. Die Sundgauer Straße/Ecke Schlettstadter Straße, wo viele Jahrzehnte Gewächshäuser für Pflanzen standen, wird zu einem neuen Wohn-Areal. Das Wohnprojekt „Alte Gärtnerei“ wird auf rund 19000 Quadratmetern 111 Eigentumswohnungen umfassen, die pro Quadratmeter zwischen 4746 und 6121 Euro kosten werden. „Bei gehobener Ausstattung“, wie es beim Investor heißt, der hier laut Immobilienzeitung rund 43,5 Millionen Euro investiert.

Doch die „Alte Gärtnerei“ ist nur ein Projekt von vielen, die gerade im Umkreis von rund fünf Kilometern in Zehlendorf – Dahlem und Zehlendorf Mitte – entstehen. Es sind alles Wohnprojekte, die eine bestimmte Zielgruppe haben: Kaufkräftiges Publikum und das möglichst mit Kindern. Knapp 1000 Wohneinheiten werden in den nächsten Jahren entstehen, und überall gibt es vielversprechende und wohlklingende Namen für die neuen „Kieze“.

– Dahlem paradise: Hier werden Am Hegewinkel auf 18000 Quadratmetern 54 Wohnungen gebaut, 14 Doppelhaushälften, vier Reihenhäuser, sechs Apartmenthäuser

– The Metropolitan Gardens: Hier entstehen aus den ehemaligen US-Kasernen denkmalgeschützte Wohn- und Business-Suiten auf 56 000 Quadratmetern. Die über 200 Wohneinheiten sind bereits alle verkauft.

– Fünf Morgen Dahlem Urban Village: Auf dem Gelände der alten Truman Plaza entstehen auf rund 50 000 Quadratmetern rund 100 exklusive Wohneinheiten.

– Am Oskar-Helene-Heim werden es neben einem Gesundheitszentrum und dem MeridianSpa rund 120 Wohneinheiten sein.

– Cedelia: Am Dahlemer Weg baut die Hochtief auf 32 000 Quadratmetern 17 Gebäude mit 280 Wohnungen, davon werden die Hälfte Eigentumswohnungen sein. Hier liegt der niedrigste Preis laut der Hochtief Projektentwicklung bei etwa 2700 Euro pro Quadratmeter, der höchste bei rund 4200 Euro.

„Marken sind Sirenen im Meer der Kauflust“

Auf der Homepage des Projektentwicklers für „The Metropolitan Gardens“ findet man folgende Beschreibung, der sich wohl auch alle anderen Wohnquartierbauer nicht widersetzen würden. Es heißt: „Marken sind Sirenen im Meer der Kauflust. Sie versprechen Status und Prestige, Thrill und Glamour. Sie verführen und geben uns dieses herrliche Gefühl, das Beste, Schönste und Eleganteste gewählt zu haben.“

Offensichtlich werden in Zehlendorf gerade die vorhandenen Freiflächen von Luxuswohnbauten versiegelt, denn es sind noch weitere dieser Projekte in Planung. Auf jeden Fall ist der Bauboom ungewöhnlich – aber, wie Experten sagen, in der Ausrichtung auf ein gehobenes soziales Milieu „nachhaltig“. Thomas Hocke von der Project Immobilien, die in Steglitz-Zehlendorf neben der „Alten Gärtnerei“ mehrere andere Wohnprojekte realisiert, sagt: Steglitz-Zehlendorf habe eine „gute Infrastruktur, sehr hohe Kaufkraft, sichere, bürgerliche, gewachsene Mikro-Lagen, die Wertstabilität der gekauften Immobilien gewährleisten“. Hocke glaubt, dass „viele junge Familien von den ‚hippen‘ Berliner Innenstadtbezirken nach Zehlendorf ziehen, sobald ihre Kinder ins Kitaalter kommen beziehungsweise eingeschult werden müssen“.

Auch bei der Hochtief glaubt man an eine nachhaltige Wende hin zu einem wirklichen Familienstandort. Noch ist Zehlendorf der nach Einwohnern älteste Bezirk. Gabriele Stegers, Leiterin der Unternehmenskommunikation, sagt dazu: „Unserer Ansicht nach liegt die Altersstruktur daran, dass bis 2010/2011 nur wenige größere Flächen zur Verfügung standen, die für den Wohnungsbau für Familien geeignet waren.“ Aus diesem Grund seien Familien in das Umland abgewandert. „Dieser Trend scheint nun aber zu wenden. Die Wohnungsnachfrage steigt. Das liegt sicherlich auch an der Attraktivität des Bezirks.“

Winfried Glück wird bei dieser Vielzahl an Wohnprojekten mulmig zumute. Auch aus diesem Grund hat der Geschäftsführer des Jugendhilfevereins Zephir gemeinsam mit vielen anderen das Wohnraumbündnis Steglitz-Zehlendorf ins Leben gerufen. In der Gründungserklärung des Bündnisses steht der Satz, dass Steglitz-Zehlendorf nicht nur Heimat für Menschen sein dürfe, die wohlhabend sind, sondern für die ganze breite Gesellschaft bezahlbar bleiben müsse.

„Wir werden mit dem Stadtrat Tacheles reden“

Eben das aber ist das Problem: Werden nicht die neuen Projekte mit „gehobener Ausstattung“ Folgen haben, beispielsweise die, dass immer mehr Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt werden? Winfried Glück sieht genau diese Gefahr, deshalb fordert er einen Milieuschutz, „wie ihn bereits andere Bezirke umgesetzt haben“. Bisher gibt es das in Steglitz-Zehlendorf nicht, dabei, findet Glück, ist das „das beste Instrument, um die Verdrängung der Menschen zu verhindern“. Im Bündnis sitzt auch der für Stadtentwicklung zuständige Stadtrat Norbert Schmidt (CDU). Glück sagt: „Wir werden mit ihm Tacheles reden, dann wird sich auch die CDU positionieren müssen.“

Torsten Hippe hat gar kein Problem, sich zu positionieren. Der Fraktionschef der CDU in der Bezirksverordnetenversammlung und Vorsitzende des Ausschusses für Stadtentwicklung sagt: „Niemand soll hier verdrängt werden, und keiner wird aus Wohnungen vertrieben.“ Aber es sei nun einmal so, dass der Bezirk ein bürgerliches Publikum anziehe, und das wiederum sei auch gut so, denn das entspreche ja der Struktur und der Qualität des Bezirks. Das müsse man verstetigen und nicht ändern wollen – „wie die Pseudolinken“. Zehlendorf müsse für diese Klientel ein attraktives Zuhause sein und bleiben, denn um so besser Quartiere gebaut werden, umso besser werde auch ihr Umfeld. „Wir wollen hier niemanden, der auf Kosten anderer lebt. Wir wollen Familien mit Kindern, die der Gemeinde positiv gegenüberstehen, die bürgerlich, also auch gemeinwohlorientiert denken und sich einbringen in unsere Gesellschaft.“ Hippe will keine „gated communities, sondern die Strukturen des Bezirks erhalten“, deshalb müsse man aber nicht gleich Sozialwohnungen bauen.

Norbert Buchta, Fraktionschef der SPD, traut Hippe an dieser Stelle nicht über den Weg. Buchta sagt, er erinnere sich mit Schrecken an einen Satz Hippes, der lautete, wer nach Steglitz-Zehlendorf ziehen wolle, der müsse sich das leisten können. Der Sozialdemokrat hat ebenso wie Winfried Glück die Befürchtung, dass man Teile der Gesellschaft „vor der Tür des Bezirks stehen lassen will“. Buchta findet, Zehlendorf brauche die „soziale Mischung“, um seine Strukturen eben nicht zu verändern. Aber dafür gebe es kaum eine Chance, „weil es kein Angebot gibt für Menschen mit geringen Einkommen oder Hartz IV“. Hippe wiederum sagt, man könne es der Privatwirtschaft nicht verdenken, wenn sie keine Sozialwohnungen baut, die sie nicht finanziert bekommt.

Gleich neben den neuen schönen Eigentumswohnungen „Alte Gärtnerei“ steht eine ältere Miethäuserzeile an der Schlettstadter Straße. Es gibt hier Menschen, die schon sehr lange hier wohnen, es gibt aber auch neue Mieter, die sagen, sie seien aus dem „gentrifizierten Nordneukölln“ hierher gezogen, weil die Drei-Zimmer-Wohnung „noch zu bezahlen ist“. Einige hier haben Angst, nicht wegen des zu erwartenden Baulärms über zwei Jahre, sondern vor „Modernisierung“. Denn es könnten ja auch die Wohnungsbaugesellschaften auf die Idee kommen, ihre Wohnungen der neuen Klientel, den kommenden besser verdienenden Nachbarn anzupassen, und immer mehr Miet- in Eigentumswohnungen umzuwandeln.

Die Wohnungen in der Schlettstadter Straße gehören der GSW, die wiederum nun zur Deutschen Wohnen gehört. Das Unternehmen hat bundesweit 150000 Wohnungen, aber allein in Steglitz-Zehlendorf sind es über 11 000. Das ist enorm viel und entspricht fast einer Monopolstellung. Winfried Glück sagt, es gebe den Trend bei den Wohnungsbaugesellschaften immer mehr auf Eigentumswohnungen zu setzen, vor allem in Zehlendorf. Eine Sprecherin der Deutschen Wohnen dagegen sagte dem Tagesspiegel: „Unser Schwerpunkt ist Vermietung und Bestandswahrung. Wir verkaufen auch, aber das hat keine Priorität.“

In den nächsten Jahren wird man sehen, was die neuen Milieus in Zehlendorf bewirkt haben werden.


Quelle: Der Tagesspiegel

Der letzte Thrill: Die Luxusversiegelung, Am Hegewinkel, Berlin

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