Da trauten einige Mitarbeiter der Berliner Jobcenter ihren Augen nicht: Imposante 2539 Euro sollten sie pro Schüler für eine Klassenfahrt nach New York überweisen. 38.085 Euro für die gesamte Gruppe. Jetzt regt sich Protest gegen einen derartigen Umgang mit Steuergeldern – von Eltern und aus dem Abgeordnetenhaus.
Die Anträge des Kreuzberger Robert-Koch-Gymnasiums – Reisedatum 8. bis 15. Oktober 2015 – waren unmissverständlich: 2189 Euro für Flug und Unterkunft, 140 Euro für Verpflegung und 210 Euro für Nebenkosten waren da aufgelistet. Auch die Zustimmung des Schulleiters fehlte nicht auf den Formularen. Somit war den Ansprüchen Genüge getan, die der Bund an seine Finanzierung im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets (BuT) knüpft. Diese Unterstützung soll es Familien mit sehr geringen oder ohne Einkommen ermöglichen, ihre Kinder besser zu fördern.
Es ging um 15 Schüler aus dem Leistungskurs Englisch
Schulleiter Rainer Völkel reagiert inzwischen zerknirscht, wenn man ihn auf seine Zustimmung anspricht.. „Ich habe einmal nachgegeben, und das war vielleicht einmal zu viel“, sagt er im Rückblick, nachdem aus den Jobcentern kritische Nachfragen kamen. Gleichzeitig betont Völkel, dass er im Vorfeld Bedenken hatte. Er habe den jungen Lehrer „hochnotpeinlich befragt“, ob das denn wirklich nötig sei.
Letztlich hätten ihn aber die Argumente überzeugt. Dazu zählte, dass in der Reisegruppe etliche Schüler gewesen seien, die neben Englisch auch Kunst als Leistungskurs belegen: Da hätte das berühmte Museum of Modern Art, das MoMA gelockt. Wichtig ist Völkel auch der Hinweis, dass es bei einigen seiner Schüler einen „latenten Antiamerikanismus“ gebe, dem man mit so einer Reise vielleicht begegnen könne. Rund 400 Euro könnten im Übrigen jetzt pro Schüler zurückgezahlt werden, weil das Ganze letztlich etwas billiger ausgefallen sei. Eine solche Reise bleibe jedenfalls ein „singuläres Ereignis“, betont Völkel.
„Das ist kein Einzelfall“
„Singulär“ allerdings nur am Robert-Koch-Gymnasium: Sowohl im Bund als auch in Berlin sind ähnliche Ausgaben im Rahmen des BuT durchaus bekannt. In einer bundesweiten Auswertung ist von Kommunen die Rede, die bis zu 2000 Euro pro Schüler bewilligen, vereinzelt auch mehr. In Sachsen wurden als höchster Wert zuletzt 1700 Euro vermerkt.
Georg Krapp vom Neuköllner Albert- Schweitzer-Gymnasiums hält teure Klassenfahrten auf BuT-Rechnung auch aus pädagogischen Gründen für falsch: Den Kindern werde ein falsches Bewusstsein vermittelt. „Da wird der BuT-Gedanke auf den Kopf gestellt“, findet auch André Nogossek, Berliner Vertreter im Bundeselternrat. Aus „Solidarität mit den Normalverdienern“ fordert er, dass die Schulen von teuren Klassenfahrten absehen. Berlinweit haben sich die BuT-Ausgaben für diesen Posten 2015 bereits auf 7,7 Millionen Euro summiert – ein Viertel der gesamten BuT-Ausgaben.
Hessen setzt eine Obergrenze von 450 Euro
Für das erste Halbjahr 2014 gibt es diese Zahlen auch aufgeschlüsselt nach Bezirken. So wurden in Friedrichshain-Kreuzberg allein bis 30. Juni 2014 knapp 700.000 Euro für Klassenfahrten verausgabt und in Neukölln 788.000. Allerdings gibt es in Neukölln rund 16.000 Schüler, die aus Transfer-Familien kommen, in Kreuzberg-Friedrichshain aber nur 10.800. Dies ergab eine Anfrage der grünen Jugendpolitikerin Marianne Burkert-Eulitz. Es gibt aber auch Bundesländer wie Hessen, in denen dieser Posten geringer ausfällt, weil finanzielle Obergrenzen für Klassenreisen festgelegt sind. So dürfen hessische Lehrer nur bis zu 225 Euro für Auslandsfahrten ausgeben und 450 Euro nur dann, wenn sie den Eltern die Möglichkeit des vorigen „Ansparens“ ermöglichen.
Stefanie Remlinger (Grüne) hingegen möchte keine Obergrenzen vorschreiben. Es sei „pädagogisch wichtig“, dass die Schulen sich mit dieser Frage auseinandersetzen und einer derartigen „Mitnahmementalität“ bewusst eine Absage erteilen. Auch die Bildungsverwaltung appelliert an die Eigenverantwortung der Schulen. Bei aller Zerknirschtheit konnte Schulleiter Völkel am Dienstag zumindest vermelden, dass die Reise ein Erfolg war: „Es gab ein unglaublich positives Feedback“.