Gar nicht so einfach, eine Kirche zu öffnen. Pfarrer Christopher Zarnow musste einen Schlosser holen, um das eingerostete Schloss aufzubekommen. Für die wenigen Gläubigen, die sonntags zum Gottesdienst kommen, reichte der Haupteingang. Auch wenn es ab und zu Gospelkonzerte gab, genügte eine Tür. Diesmal steht die alte Holzpforte an der Seite zum ersten Mal wieder sperrangelweit offen. Menschen treten mit vorsichtigen Schritten ein. Andere tragen schon beherzt Tische und Bänke hinaus, Schüsseln mit Salaten und Bleche voller Kuchen. Denn dass die alte Tür nun wieder offen steht, das wird gefeiert. Eine neue Zeit soll anbrechen und neues Leben unter dem Kirchturm einziehen.
Fresken und Glasmalereien sollen wieder Gäste begeistern
Seit 120 Jahren steht die Apostel-Paulus-Kirche in Schöneberg an der Ecke Akazienstraße/Grunewaldstraße. In dem mächtigen neogotischen Backsteinbau haben 1200 Menschen Platz, und zu bewundern gibt es viel: die Fresken oder die Glasmalerei auf den hohen Fenstern, die den Krieg größtenteils überstanden haben. Schade, dass die vielen Menschen davon so wenig mitbekommen, die im Sommer um die Kirche herum im Gras liegen, auf den Treppen Zeitung lesen oder Currywurst essen. Auch auf dem Spielplatz hinter der Kirche ist viel los. Denn der Kiez mit seinen Restaurants, Cafés und kleinen Läden zieht viele Familien an.
„Die Kirchengemeinde ist abgekoppelt vom Kiez“, sagt Pfarrer Zarnow. Das will er ändern. Er ist 38 Jahre alt und seit vergangenem Herbst an der Apostel-Paulus-Kirche tätig – mit extra Auftrag vom Kirchenkreis Tempelhof-Schöneberg, die Kirche in den Kiez hinein zu öffnen. Zarnow hat mit Einladungen zu Themenabenden begonnen, die „Offene Sommerkirche“ ist der nächste Schritt: Bis 15. September ist die Kirche mittwochs und samstags von 16 bis 19 Uhr geöffnet. Eine Kirche zu öffnen heißt aber nicht einfach Schlüssel umdrehen und fertig. Es braucht Menschen, die da sind, wenn das Haus offen steht, die Auskunft geben können und wachen, dass nichts weggetragen wird. Die paar festangestellten Mitarbeiter haben dazu keine Zeit. In vielen Kirchengemeinden würde in Zeiten knapper Kirchenkassen ohne die Ehrenamtlichen schon jetzt kaum noch etwas laufen. Doch meistens beschränkt sich das Engagement auf die immerselben, die eh genug zu tun haben. „Ich bin keiner, der die Leute auf der Straße anquatscht“, sagt Zarnow. Wie findet man sie dann?
Jetzt kommt Michael Volz ins Spiel. Er ist 53, hat sich 17 Jahre lang um die Jugendlichen in den Friedenauer Gemeinden gekümmert und wollte noch mal was anderes machen. Vergangenen Herbst ernannte ihn der Kirchenkreis Tempelhof-Schöneberg zum „Beauftragten fürs Ehrenamt“.
Festangestellte koordinieren Ehrnamtliche, das ist neu
Dass festangestellte Kirchenmitarbeiter eigens für die Arbeit mit Ehrenamtlichen eingesetzt werden, ist eine neue Entwicklung in der evangelischen Kirche, sagt Philipp Enger von der Evangelischen Hochschule Berlin. Er erforscht das Freiwilligenmanagement in der evangelischen Kirche und freut sich über die neuen Ehrenamts-Beauftragten. Denn die Mitarbeit der Ehrenamtlichen werde immer wichtiger, gleichzeitig mangele es oft an Professionalität im Umgang mit ihnen.
„Es gibt viele Menschen, die in ihrer Freizeit etwas Sinnvolles tun wollen“, sagt Volz, „doch die Kirche schreckt viele ab, weil sie fürchten, sie müssen sich dort ein Leben lang binden“. Deshalb hat Volz in der Ausschreibung für die „Sommerkirche“ Aufgaben und Zeitraum klar eingegrenzt. „Jeder kann eine konkrete Aufgabe übernehmen und danach gehen“, sagt er, „ohne moralischen Druck“. Sein Ziel ist es, in allen zehn Gemeinden des Kirchenkreises die ehrenamtliche Arbeit besser zu koordinieren, klare Strukturen aufzubauen, den Freiwilligen mit Anerkennung zu begegnen und sie zu begleiten. Die Interessen sind ja auch so unterschiedlich, sagt Volz: Die einen möchten mit älteren Menschen arbeiten, die anderen mit Kindern, wiederum anderen liegt die Verwaltungsarbeit. Die persönlichen Wünsche möchte er noch besser mit den Bedürfnissen der Gemeinden verknüpfen.
Renate Ober, 69, Künstlerin, Kosmopolitin, hat mit Religion und Glaube wenig am Hut. Jetzt sitzt sie in der Kirchenbank in der Apostel-Paulus-Kirche und lässt die Stille und die Schönheit des Raums auf sich wirken. „Sommerkirche – das klingt so leicht, das hat mich begeistert“, sagt sie. Nachdem sie die Ausschreibung beim Spargelfest am Rathaus Schöneberg gelesen hatte, rief sie gleich an und sagte zu. So haben es auch elf weitere Frauen und Männer gemacht. Dass Aufgabe und Zeitraum eingegrenzt sind, macht die Sache umso attraktiver, denn sie ist viel auf Reisen. „In der Kirche muss man nichts leisten und nichts konsumieren, man kann einfach so da sein“, sagt Renate Ober – und möchte durch ihre Arbeit dazu beitragen, dass das viele Menschen erleben können. „Ich bin Berliner, aber ich kenne kaum eine Kirche von innen“, sagt Boris Beck, 34. Das ist seine Motivation fürs Kirchenöffnungsprojekt.
Kiez-Initiative „SchönePlatz“
Eine glückliche Fügung nennen es Pfarrer Zarnow und Michael Volz, dass sich im Herbst auch die Kiez-Initiative „SchönePlatz“ gegründet hat, um das Umfeld der Kirche aufzuhübschen und dafür zu kämpfen, dass trotz steigender Mieten die soziale Mischung erhalten bleibt. Auch die beiden Grafikerinnen Anja Möhring und Vera Bauer haben sich von den neuen Initiativen anstecken lassen. Für die Sommerkirche haben sie Plakate, Postkarten und einen Button entworfen. Für den Kirchenraum haben sie sich eine Installation ausgedacht und hundert Kissen mit „100 Werten Worten“ aus dem Bereich Religion und Ethik bedruckt, darunter mit Begriffen, die längst aus der Mode gekommen sind wie „Buße“, „Müßiggang“ oder „Sanftmut“. Besucher können den Kissen einen Platz in der Kirche geben, sie kombinieren und sinnieren.
Renate Ober hat sich das Kissen „Freiheit“ ausgesucht und fragt: Wie ernst ist es der Kirche mit der Freiheit des Einzelnen? Dürfen die Kirchenbesucher auch Hunde mit in die Kirche bringen? Schön finden es alle, dass solche Fragen jetzt überhaupt wieder gestellt werden.
HELFER GESUCHT
Für die Sommerkirche in Apostel Paulus werden noch Freiwillige gesucht: Bis 15. September, Mittwoch und Samstag, je drei Stunden 16 bis 19 Uhr: Türen offen halten, Neugierige und Besucher empfangen. Bitte melden bei Michael Volz, Tel. 030-2250507931, 0160-1588773 oder Mail schicken.
HIGHLIGHTS FÜR GÄSTE
Pfarrer Zarnow lädt ein, etwa am 10. Juli, 19 Uhr, zu Chormusik und Tanz zum Thema „Versuchung – Männerminne“. Am 31. Juli, 17 Uhr, Werkstatt mit Kindern ab 4 Jahren: „Himmel – Wir bauen eine Himmelsleiter“. 7. August, 19 Uhr: Politische Abendandacht mit SPD-Politiker Lars Oberg. Weitere Infos hier.