Ein Kaninchen irrt umher. Zwischen Türen, Rolltreppen und Kunden scheint es die Orientierung verloren zu haben. Irritierte Käufer betrachten es verwundert: Was hat ein Hase hier verloren? Auch eine seltsam frisierte Frau im Kostüm fällt auf, sie scheint dem Vierbeiner folgen zu wollen. Die Frau nennt sich Alice und gerade stürzt sie sich in ihr Wunderland – das Karstadt am Hermannplatz. Auf ihrem Weg trifft sie Unternehmerinnen ohne Herz, menschenscheue Dekorationsfachkräfte oder als Hummer verkleidete Promoter. Es wird über den Kapitalismus diskutiert und 25 Zuschauer können an den Erkenntnissen und Einsichten teilhaben. 90 Minuten lang geht es hinauf und hinab durch sieben Stockwerke, zahlreiche Geschäftskunden verfolgen das Geschehen amüsiert oder zurückhaltend.
Am 28. März feierte die Theater-Performance „Alice im Wunderland“ Premiere. Schauplatz des Geschehens ist Karstadt am Hermannplatz, und auch wenn der Name der Aufführung dem Kinderbuchklassiker von Lewis Carroll entnommen ist, hier wird alles andere als ein Kinderstück geboten. Regisseur Martin Stiefermann und die Gruppe „MS Schrittmacher“ empfehlen den Besuch ihrer Produktion ab 15 Jahre. „Die Vorlage war schon immer eines meiner Lieblingsbücher, doch ich wollte sie von allem Märchenhaften befreien“, so Stiefermann gegenüber dem Tagesspiegel.
Die Stadt als Bühne
Seit ihren Anfängen im Jahr 1998 will die Kompanie die Verstrickungen von Subjekt und System im Stadtraum näher beleuchten. In der aktuellen Alice-Inszenierung stehen Gelüste und Verführungen, Eigenverantwortung und Selbstaufgabe, Dominanz und Machtmissbrauch im Zentrum der Reflexion – und um die Konfrontation mit einer von Markt und Marketing beherrschten Welt. Doch diesen Aspekt möchte der Regisseur ungern überbetonen. Auf die Frage, ob das mit der über zweijährigen einvernehmlichen Zusammenarbeit mit dem Karstadtunternehmen zusammenhänge antwortet Stiefermann: „Nein, das bestimmt nicht. Mich hätte platte Konsumkritik in einem Einkaufstempel einfach nicht besonders interessiert“.
Doch während der Zuschauer den Figuren auf ihrem Weg durch Sport- und Modeabteilungen folgt, registriert mancher durchaus die eigenen verstohlenen Blicke auf Schnäppchen und Wunschprodukte. Die eigentlichen Besucher des Kaufhauses werden auf der anderen Seite selbst zu Statisten, die sich in einer nach einem speziellen Drehbuch in den Markthallen zu bewegen scheinen. „Dieses große Kaufhaus an der Grenze zwischen Kreuzberg und Neukölln schien mir schon lange der perfekte Ort für eine solche Inszenierung“, so der in der Nähe wohnende Stiefermann. Alice muss sich hier zahlreichen Versuchungen erwehren und ihren eigenen Weg finden.
Zuschauer herzlich willkommen
Die Proben für das Stück nahmen sechs Wochen in Anspruch, die Gruppe der „MS Schrittmacher“ durfte sich währenddessen völlig frei im Haus bewegen. Von dieser Freizügigkeit profitieren nun auch die Zuschauer. Das Untergeschoss mit dem Lager für Rettungsringe und Weihnachtsdekoration darf ebenso betreten werden wie der Lastenaufzug, in dem Alice einen Anfall von Platzangst zu überstehen hat. Der sie nicht daran hindert, ihren Weg durch die Wunderbare Warenwelt weiter zu verfolgen.
Weitere Vorstellungen: am 29. und 31. März um 15 und 18 Uhr, am 30. März um 11 und 18 Uhr. Außerdem vom 2. bis 5. April und am 7. April jeweils um 15 und 18 Uhr.
Karten (16, ermäßigt 11 Euro) im KaDeWe, in den Karstadt-Häusern Hermannplatz, Spandau und Tempelhofer Damm und im Dock 11, Kastanienallee 79, auf www.showtimetickets.de und www.dock11-berlin.de sowie unter 030-6874000 oder 030-35120312.
Telefonische Reservierungen zur Abendkasse sind nicht möglich, Abendkasse nur bei Restkarten. Empfohlen ab 15 Jahren. Weitere Infos auf www.msschrittmacher.de.