Es sollte ein Dankeschön sein: Acht lyrische Zeilen über Blumen, Frauen und eine Allee ragen in schwarzen Lettern an der Fassade der Alice-Salomon-Hochschule in Hellersdorf in den Himmel. Der Schweizer Dichter Eugen Gomringer gewann 2011 den Poetik-Preis der Hochschule und verschenkte im Gegenzug eines seiner bekanntesten Gedichte. Doch dass das spanische Gedicht aus dem Jahr 1951 eine solch heftige Diskussion auslösen würde, hätte wohl niemand gedacht. Nun mischt sich die Stiftung Brandenburger Tor ein und kündigt an, das Gedicht ab dem 22. Februar 2018 auf einem mehr als acht mal zwei Meter großen Banner am Max Liebermann Haus zu präsentieren.
Bereits Anfang Februar war das Gedicht „schweigen“ des Künstlers Gomringer an die Glasfassade der Akademie der Künste, schräg gegenüber des Max Liebermann Hauses, angebracht worden. Mit den beiden großformatigen Gedicht-Präsentationen des Dichters an einem der bekanntesten Plätze Berlins soll ein Zeichen für Toleranz und Freiheit der Kunst gesetzt werden. Kunst dürfe nicht durch kunstfremde Argumente beeinträchtigt, der öffentlichen Wahrnehmung entzogen oder verboten werden, teilte laut Tagesspiegel die Stiftung Brandenburger Tor mit.
Die Ursache der Debatte um die Kunstfreiheit ist die geplante Übermalung des Kurzgedichts avenidas an der Alice-Salomon-Hochschule. Der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) der Alice-Salomon-Hochschule für soziale Arbeit hatte im Frühjahr 2016 die vorlesungsfreie Zeit genutzt und sich etwas genauer mit dem Gedicht befasst. Auf Deutsch übersetzt lautet es: „Alleen/Alleen und Blumen/ Blumen / Blumen und Frauen / Alleen /Alleen und Frauen/ Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer“. Ein Mann also, der auf einer Straße Blumen und Frauen bewundert? In einem offenen Brief hinterfragte der AStA, ob diese Zeilen als Aushängeschild der Hochschule geeignet seien: „Dieses Gedicht reproduziert nicht nur eine klassische patriarchale Kunsttradition, in der Frauen* ausschließlich die schönen Musen sind, die männliche Künstler zu kreativen Taten inspirieren, es erinnert zudem unangenehm an sexuelle Belästigung, der Frauen* alltäglich ausgesetzt sind“, so der AStA.
Das Gedicht erinnere daran, dass sich Frauen nicht in die Öffentlichkeit begeben können, ohne auf ihr Äußeres reduziert zu werden. Gerade an einem Standort wie Hellersdorf, ein Ort an dem sich Frauen vor allem nachts nicht immer sicher fühlen können, würden solche Worte noch mehr Angst schüren. Sie forderten, dass das Gedicht übermalt werde.
Nach einer Online-Abstimmung, bei der sich die Mehrheit der Studierenden gegen das Gedicht aussprach, nahm die Hochschulleitung den Antrag an. Das Werk Gomringers sollte zunächst aber erhalten bleiben und durch eine Erweiterung, wie eine zusätzliche Strophe, in einen anderen Kontext gerückt werden. Überraschend gab die Hochschule nun aber bekannt, dass das Gedicht doch überstrichen werde. Die Fassade soll stattdessen alle fünf Jahre mit einem neuen Gedicht bemalt werden. Ab Herbst 2018 wird die Dichterin Barbara Köhler, aktuelle Poetik-Preisträgerin der Alice-Salomon-Hochschule, mit einem ihrer Werke den Anfang machen.
Der 93-jährige Dichter Eugen Gomringer kritisierte den Fall, der auch international für Aufruhr sorgte. „Das ist ein Eingriff in die Freiheit von Kunst und Poesie“, sagte er der dpa. Die Uni will aber auf einer Tafel unterhalb der Fassade an sein Gedicht avenidas und die Debatte erinnern.