Der Weltenlenker Helmut Schmidt und die oft so provinziell anmutende Hauptstadt – das war eine lange, komplizierte Beziehung. Er schimpfte über das politische Personal Berlins unabhängig von der Parteizugehörigkeit, betrachtete den Rückweg zum Hauptstadtstatus aber als unbestreitbare Selbstverständlichkeit. Er sezierte die wirtschaftlichen Probleme der Stadt mit spitzen Worten, setzte sich aber immer wieder dafür ein, beim Überwinden dieser Probleme zu helfen. Er fand den Schlossneubau unnütz, spendierte dem Zoo aber großherzig den Panda Bao Bao, den er 1979 als Staatsgeschenk erhalten hatte – zum Missfallen Hamburgs, wo man den Bären gern im Hagenbeck-Tierpark gesehen hätte.
Vom Krieg aus Berlin vertrieben
Beide wurden schließlich vom Krieg aus der Stadt vertrieben, fanden eine Unterkunft in der Nähe von Bernau. Dort kam im Juni 1944 „Moritzelchen“ zur Welt – und ging wenige Monate später, verstorben an einer Gehirnhautentzündung, während der Vater als Batteriechef an der Westfront eingesetzt war. Erst 40 Jahre später, noch zu DDR-Zeiten, konnten Loki und Helmut das Grab besuchen, Ergebnis einer Vermittlungsaktion, an der auch Herbert Wehner beteiligt war.
Nach dem Krieg machte Schmidt in Hamburg und Bonn Karriere – und fand kaum Zugang zu den Spitzenpolitikern West-Berlins. Willy Brandt war ein starker Konkurrent, Brandts Adlatus Klaus Schütz nicht auf Augenhöhe, und dessen Nachfolger erst recht nicht. Als 1981 ein Ersatz für den glücklosen Dietrich Stobbe gesucht wurde, versuchte Schmidt erfolglos, den Mogadischu-Helden Hans-Jürgen Wischnewski durchzusetzen. Es kam – und ging alsbald wieder – Hans-Jochen Vogel.
Berlin, die Hauptstadt der Arbeitslosigkeit
Die letzten aktiven Jahre verbrachte Schmidt teils in seinem Hamburger „Zeit“-Büro, teils in dem Berliner Büro, das ihm als Ex-Kanzler zustand. An beiden Orten äußerte er sich immer wieder skeptisch über den Zustand Berlins, mahnte immer wieder – ergebnislos – die große Debatte über die Hauptstadt, ihre Aufgaben und die Erwartungen der Bürger an. Das „Bundesschloss“, wie er gelegentlich höhnte, gehörte für ihn nicht dazu: „Fragen Sie doch mal die Menschen in Gelsenkirchen oder in Magdeburg“, sagte er, „was denen daran liegt.“
Im April 2010 hatte Schmidt noch einmal einen großen Auftritt als Laudator zum 90. Geburtstag Richard von Weizsäckers. Als er im Oktober wieder in der Stadt eine Rede hielt, vor dem Japanisch-Deutschen Zentrum, da verpasste er den Tod seiner Frau, die in der folgenden Nacht, am 21. Oktober, in Hamburg starb – letzte Wegmarke einer 69 Jahre währenden Ehe und Schmidts langer, komplizierter Beziehung zur deutschen Hauptstadt.