Hörweg in der Barnimstraße

Ohren auf und durch

Ein Blick in das Frauengefängnis in der Barnimstraße von 1931. Die Aufnahme zeigt den Hof, auf dem die Gefangenen ihren täglichen Rundgang absolvierten.
Ein Blick in das Frauengefängnis in der Barnimstraße von 1931. Die Aufnahme zeigt den Hof, auf dem die Gefangenen ihren täglichen Rundgang absolvierten.
Mitte – Fernsehturm, Rotes Rathaus und Neptunbrunnen kennt jeder vom Alexanderplatz. Dass hier nur wenige Minuten entfernt aber einmal das Frauengefängnis Barnimstraße stand, wissen die wenigsten. Über 100 Jahre kamen Frauen aus verschiedensten Gründen hierher und erlebten die wohl schlimmste Zeit ihres Lebens. Was hinter den Gefängnismauern passierte, erzählt nun eine Audio-Inszenierung und nimmt uns mit auf einen historischen Rundgang. 

Als ich das Gelände der Barnimstraße 10 betrete, wirkt alles erst einmal wie eine gewöhnliche Parkanlage mit Bäumen und Bänken. Einige Verkehrsschilder irritieren, sind jedoch Grundlage der Jugendverkehrsschule, die sich hier befindet. Im Gebüsch liegt ein Fußball, den wohl die Kinder vom Kindergarten nebenan hierüber bugsiert haben. Sie spielen und haben hörbar Freude beim Herumtollen. Dabei gehörten Spiel und Spaß bis 1974 überhaupt nicht hierher. Bis dahin existierte das Frauengefängnis Barnimstraße, an das noch heute die Architektur der Parkanlage grob erinnert. Das veranschaulicht der Hörweg vom Künstler Christoph Mayer chm., bei dem Gefangene aus unterschiedlichen Zeiten zu Wort kommen und das Frauengefängnis vorstellen.

Erinnerungen als Rettung

„Auf unseren Wahlzetteln waren die Kreuze schon gemacht. Mein Mann echauffierte sich darüber und wurde dadurch als Boykotthetzer vermerkt. Einige Zeit später wurde er auf offener Straße erschossen“, sagt eine ehemalige Gefangene des Frauengefängnisses Barnimstraße. Das war für sie das klare Zeichen, mit ihrem Kind die DDR um jeden Preis zu verlassen. Doch der Versuch scheitert. Man nimmt ihr das Kind weg und verurteilt sie aufgrund von „Passvergehen“ vor Gericht, behandelt sie als Staatsfeind.

Darum findet sie sich wenig später mit zwei weiteren Frauen in einer engen Zelle wieder, auf der nicht einmal genug Platz ist, um im Liegen zu schlafen. „Hier konnte man überhaupt nichts machen. Unsere Rettung waren die Erinnerungen an Filme, Bücher und Geschichten, die wir uns einander erzählten.“ Das Schlimmste war für sie die Dunkelzelle, in die sie kam, weil sie einen weiblichen Häftling schützte. Hier hatte sie nur noch Angst, „auch weil man jegliches Zeitgefühl verliert und die Dunkelheit dich zermürbt.“ An diesem Punkt war sie davon überzeugt, den Aufenthalt im Frauengefängnis nicht zu überleben.

Ins Gefängnis für Plakate überkleben

Eine weitere Zeitzeugin berichtet, wie ihr das NS-Regime mit seiner Propaganda gehörig gegen den Strich ging. Darum überklebte sie mit Freunden Naziplakate mit Flugblättern: „Alle dachten wie ich, nämlich dass wir Recht haben und die Regierung eben nicht.“ Ein Spiel mit dem Feuer, von dem sie vollkommen überzeugt war: „Wir mussten den Leuten die Augen öffnen und zeigen, dass es Menschen gibt, die dagegen sind und zusammen an dieser Idee arbeiten“.

Kurze Zeit später nimmt man sie fest und sperrt sie für dreieinhalb Jahre in eine Zelle des Frauengefängnisses Barnimstraße. „Nachts schallten Schreie durch den Bau und man wusste nie genau, warum. Klar: Jeder wollte um jeden Preis hier wieder weg. Ich bemerkte schnell, dass das ein aussichtsloser Wunsch war.“ Umso mehr Zeit hat sie, um über ihr Vergehen nachzudenken, das sie bis zuletzt nicht wirklich versteht: „Was habe ich getan? Warum hört diese Ungerechtigkeit nicht auf? Wollen die Leute nicht mehr nachdenken über das, was hier passiert?“ Mehr als 300 Widerstandskämpferinnen kamen zur Zeit des Nationalsozialismus erst ins Frauengefängnis Barnimstraße, ehe sie im Gefängnis Plötzensee ermordet wurden.

„Mit nichts als einem Kind im Bauch“

Eine weitere Gefangene war Ende des 19. Jahrhunderts hier inhaftiert, weil sie als Prostituierte arbeitete. Ihr Ziel war es immer, in Berlin zu leben und dort einen Mann zu finden und eine Familie zu gründen. „Dann begegnete mir dieser Lieutnant an der Straße Unter den Linden. Wir trafen uns einige Male und ich hatte das Gefühl, dass er es ist: mein Mann, meine Zukunft.“ Doch dann sah sie ihn nie wieder – und war schwanger. Das fiel natürlich auch bei der Untersuchung im Gefängnis auf, bei der sie „mit nichts als einem Kind im Bauch“ vor den Ärzten stand. Eine Prostituierte? Schwanger? Im Gefängnis? Unmöglich. Deshalb hat sie kurz darauf die Wahl zwischen „Nadel oder Tee“, als es darum geht, die Schwangerschaft vorzeitig zu beenden. „Danach lag mein Kleiner vor mir. Ich war erstaunt, wie groß er bereits war und am Boden zerstört, weil er keinen Piep von sich gab.“

Als der etwa 90-minütige Hörweg zu Ende ist, beginnt es leicht zu regnen. Ich schaue mich noch einmal um. Sehe die Baumreihen, die die Außenmauern des Gefängnisses andeuten, wie ich jetzt weiß. Blicke auf eine kleine Rasenfläche, auf der sich früher der Gefängnishof befand. Mittlerweile spielen auch keine Kinder mehr nebenan. Es ist ruhig hier, in der Barnimstraße 10. Und durch den akustischen Ausflug in die Vergangenheit dieses Ortes weiß ich: Das hier ist alles, aber keine gewöhnliche Parkanlage.

Die Audio-Inszenierung „Hörweg durch ein Gefängnis für Frauen und 5 politische Systeme“ vom Friedrichshain-Kreuzberg Museum könnt ihr euch montags bis samstags von 10 bis 18 Uhr in der Barnimstraße 10 (Eingang Weinstraße 2) kostenfrei anhören. Hierfür bekommt ihr ein Abspielgerät mitsamt Kopfhörern geliehen und begebt euch für etwa anderthalb Stunden in eine Parallelwelt, die man sich gegenwärtig kaum noch vorstellen kann. Gruppen mit mehr als 17 Personen melden sich bitte vorher telefonisch an. Die letzte Geräteausgabe ist um 16 Uhr.

Ohren auf und durch, Barnimstraße 10, 10249 Berlin

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