Für eine Griechin ist der Berliner Herbst nur schwer zu verkraften. Anastasia Zampounidis lebt aber schon so lange in der Hauptstadt, dass sie selbst mit Regen und Dauergrau umzugehen weiß: Sie hält mit kräftigem Pink dagegen, als wir uns im Grand Hyatt treffen. Die Entwicklung des Potsdamer Platzes vom Lost Place über die größte innerstädtische Baustelle Europas bis zum heutigen modernen Shoppingviertel hat die Moderatorin live miterlebt. „Ich habe die letzten 20 Jahre hier gelebt, erst auf der West-Seite am Ufer, später dann im Ostteil im Regierungsviertel. Großartig!“ Ihren Eltern zuliebe hat sie ihren Kiez gerade verlassen und ist in den Süden Berlins gezogen. „Da unten ist es auch sehr schön, so ruhig“, erklärt sie und lacht. Bei Griechen geht es nämlich nur selten ruhig zu, gerade Familientreffen erreichen schnell einen extrem hohen Lärmpegel: „Aussprechen gibt es bei uns Griechen nicht“, erklärt Anastasia, „wenn man selbst etwas erzählen will, muss man einfach nur lauter reden, als der, der gerade spricht.“
Familie und Freunde
Mit ihrer Zuckerfreiheit kommt Anastasias Mutter ganz gut zurecht. Das ist wichtig, denn Essen hat in ihrer Familie nicht nur bei den gemeinsam zelebrierten Sonntagsmahlzeiten eine große Bedeutung. Wie bei so vielen Südländern gilt auch bei den Griechen: Mutterliebe geht durch den Magen. Entsprechend viel Wert wird darauf gelegt, dass das Kind gut und gerne isst. „Die griechische Küche ist zum Glück von Hause aus zuckerfrei. Nur den Nachtisch muss ich weglassen“, da hauen die Griechen gleich dreimal so viel Zucker rein, wie es für den guten Geschmack nötig wäre. Auch ihre Freunde nehmen ihre Zuckerfreiheit gelassen hin, was sicher daran liegt, dass Anastasia nicht bekehrend unterwegs ist. „Tipps gebe ich nur, wenn man mich darum bittet“, meint sie und ist froh, dass ihre Freunde sie umgekehrt ebenfalls einfach machen lassen. Jeder is(s)t, wie er mag.
Seit mehr als zehn Jahren lebt Anastasia zuckerfrei, darauf stoßen wir mit frisch gepresstem Apfelsaft in der stylishen Jamboree Bar an. 2006 kassierte Anastasia noch Augenrollen in Restaurants, wenn sie ihr Essen mit dem Zusatz bitte zuckerfrei bestellte. „Früher waren Kellner vollkommen uninformiert, heute musst du nur Luft holen und du wirst zugeballert mit Fragen zu deinen Unverträglichkeiten.“ In der Jamboree Bar erfüllt man ihr jeden Wunsch und das gegenüber liegende Vox Restaurant arbeitet sogar daran, zuckerfreie Menüs als Standard aufzunehmen. Ein weiterer Grund zu feiern: Anastasias Buch Für immer zuckerfrei: Schlank, gesund und glücklich ohne das süße Gift
Die Berliner Anfänge
Nur ungern verlässt Anastasia die Bar, um uns den Potsdamer Platz von anderen Seiten zu zeigen. Als Griechin empfindet sie 15 Grad schon als winterkalt, heute sind es nicht einmal 10 Grad. Das erinnert sie an ihre Berliner Anfänge, als sie Ende der 1980er Jahre mit ihren Eltern aus Nordrheinwestfalen hierher zog: „Es war dunkel, kalt, rau und unfreundlich, als wir ankamen und ich habe mich auf den ersten Blick in die Stadt verliebt.“ Schon damals spielte der Potsdamer Platz eine wichtige Rolle in ihrem Leben: „Ende der 1980er sind wir morgens um 5 Uhr aus dem Trash in der Oranienstraße gestolpert“, zu der Zeit der Punk-Laden mit der coolsten Musik. „Da traf man auch gern mal die Jungs von DAF und die Ärzte.“ Danach ging es weiter auf den Polen-Markt, der auf einem freien Gelände hinter dem heutigen Stage-Theater zu finden war, von da aus zum Frühstück ins Schwarze Café. „Das hat sich ja gar nicht verändert in den letzten 30 Jahren“, freut sich Anastasia.
Seit sie vor drei Jahren ihren DJ-Job an den Nagel gehängt hat, frühstückt sie allerdings fast ausschließlich nach durchgeschlafenen Nächten. Die vielen Stunden im Clubleben, die sie alle genossen hat, haben ihren Ausgeh-Bedarf vorerst gedeckt. „Fragt mich in zwei Jahren noch mal, vielleicht habe ich dann wieder Lust.“ Dabei liebt sie es nach wie vor zu Tanzen. „Neulich war ich auf einer After-Work-Party, weil mein Bruder aufgelegt hat“, sie unterbricht sich, weil sie losprusten muss, angesichts dieser unpunkigen Einrichtung: „Um 19 Uhr ging es los, wir haben drei Stunden durchgetanzt und um 23 Uhr war ich nüchtern und fit wieder zu Hause.“ Vielleicht wird sie mit fast fünfzig zur Spießerin? Überpünktlich und penibel in der Vorbereitung auf Jobs sei sie immer schon gewesen, gesteht Anastasia.
Von Box zu Box
Wir erreichen Europas schnellsten Fahrstuhl, der uns innerhalb weniger Sekunden in das (beheizte) Panoramacafé bringt. Anastasia genießt die Aussicht über den Tiergarten, wo sie jeden Baum und jeden Stein kennt, weil sie dort von April bis Oktober walkt, picknickt oder Inlineskatet. „Und da hinten stand die Box!“, weist Anastasia in die andere Richtung. Die Info-Box, die über die Baupläne informierte, wurde dank des Cafés, Ausstellungen und Partys bald zur beliebten Anlaufstelle von Berlinern und Touristen. 2001 musste die temporäre Location der fertiggestellten Architektur des Platzes weichen. Vielleicht sind es die schönen Erinnerungen, die die ähnlich konzipierte Humboldt-Box zu einem neuen Lieblingsort von Anastasia machen. „Ich liebe die Terrasse dort und den Blick auf die Baustelle!“ Der Potsdamer Platz hat sie offensichtlich nachhaltig geprägt.
Als nächstes gehen wir über den Weihnachtsmarkt, der in jedem Jahr gefühlt ein paar Wochen früher startet. Zuckerfreies gibt es garantiert an keiner Bude, also beobachten wir ohne klebrigen Snack Kinder, die sich an den Karussells erfreuen. Als Anastasia selbst noch ein Kind war, hat sie ihren Puppen die Köpfe abgerissen. „Ich habe wirklich keine Ahnung, warum ich das gemacht habe, vielleicht sollte ich dem tiefenpsychologisch mal auf den Grund gehen.“ Ihrer Lieblingspuppe Martina sei nichts passiert, betont sie. „Ich war auch kein Kind, das sich geprügelt hat.“ Selbst an ihrer Lese-Auswahl kann es nicht gelegen haben, gelten Hanni und Nanni oder Fünf Freunde bis heute als eher harmlos. Mittlerweile interessieren Anastasia nur noch Sachbücher über Ernährung und Gesundheit, gelegentlich liest sie mal eine Biografie, wie die von Harold Faltermeyer (Grüß Gott, Hollywood):
Die Berliner Kräuterhexe
Apropos Bücher: „Vor kurzem habe ich einen Artikel von Penny McLean gelesen.“ McLean war Sängerin bei Silver Convention, einer Band aus den 1970er Jahren, die ihr Bruder ständig gehört hat. „Penny schreibt mittlerweile Bücher über Numerologie und so was. Auf jeden Fall behauptet sie, dass man alle 600 Jahre wiedergeboren wird. Das finde ich so abgedreht“, Anastasia kann vor Lachen kaum weiter sprechen. „Wie kommt die bloß darauf?“ Demnach haben wir alle in der Renaissance schon mal gelebt. „Vermutlich war ich damals schon in Berlin, weil ich mich hier sofort zu Hause gefühlt habe.“ Um das Herauszufinden, müsste sie eine Rückführung zulassen, was sie dankend ablehnt. „Ich war hier bestimmt eine Kräuterhexe!“ Die Vermutung liegt nahe, immerhin ist die Griechin in der Gegenwart eine erfahrene (und ausgebildete) Kräuterheilkundlerin.
Als uns im Tilla-Durieux-Park eisiger Wind entgegenschlägt, wünschen wir von Anastasia fachkundigen Rat, um die nächsten Erkältungen im Keim zu ersticken. „Eigentlich haben alle Kräuter ätherische Öle und heilende Wirkungen, da kannst du dich prophylaktisch quer durch den Kräutergarten essen und trinken“, doch weil uns das zu aufwendig erscheint, legt Anastasia nach: „Wenn du merkst, es hat dich erwischt, solltest du dreimal täglich abwechselnd mit Meersalzwasser und frischem Salbei-Tee gurgeln„, viel Salbei-Tee zu trinken, sei ebenfalls ratsam. „Ein Allheilmittel ist Thymian, der ist stark antibakteriell und schießt dir alles aus dem Körper, was da nicht hingehört“, und dann fügt sie hinzu: „Damit wische ich sogar meine Küche, Thymian ist desinfizierend!“ Seit sie zuckerfrei lebt, hat sie keine Erkältung mehr gehabt. Das bringt uns endlich dazu, über eine Ernährungsumstellung nachzudenken, aber als der Duft von gebrannten Mandeln und Zuckerwatte wieder vom Weihnachtsmarkt zu uns herüberwabert, verschieben wir das Vorhaben auf unbestimmte Zeit…