Sie ist ein bisschen verunsichert. „War ich gut?“, fragt sie, fast schüchtern, lässt die Augen durch den Raum wandern. Die kleine After-Show-Party in der Bar jeder Vernunft ist gut besucht, die übliche Premierenprominenz ist gekommen von Dagmar Frederic bis Rolf Scheider. Anouschka Renzi würde wahrscheinlich auch auf der Gästeliste stehen, wäre sie diesmal nicht selbst der Anlass. Für knapp zwei Monate spielt sie die Jacqueline in „La cage aux folles – Ein Käfig voller Narren“, der kreischend schönen Neuauflage des Musicals. Eine kleine Rolle ist das, die Restaurantbesitzerin tritt erst auf, als die goldenen Riesenpenisse schon mit einem Lendenschurz bedeckt sind, ein paar Zeilen Text, ein halbes Lied singt sie, das war’s. Eigentlich nicht der Rede wert, oder?
Anouschka Renzi, 51, steht etwas abseits, ganz in schwarz, schwarzer Hut, schwarze Stiefel, kein Getränk, an dem sie sich festhalten könnte, immer wieder vermisst sie mit den Augen das Foyer. Was wohl die Leute denken?
Sie sprach offen über Schönheits-OPs – ein Fehler, sagt sie heute
Aber nein, sagt Anouschka Renzi, und ihre Stimme wird laut. „Ich will nicht immer nur meckern.“ Ein paar Tage vor ihrer Premiere in der Bar jeder Vernunft sitzt sie am Küchentisch ihrer Wohnung, ein prachtvoller Altbau in einer Seitenstraße am Theodor-Heuss-Platz, 260 Quadratmeter, 1. Stock. Wieder ganz in schwarz, wieder dieser Hut, für die Fotos sagt sie, „meine Haare sind fettig“. An der Garderobe im Flur ist jeder Haken dreifach behängt, „gehört alles meiner Tochter“, sagt sie. Chiara Moon Horst, 17, angehendes Model.
„Ich bin gesund, ich habe genug Geld, und ich arbeite“
Der Rest kommt direkt aus dem Schöner-Wohnen-Katalog, überall frische Blumen, die Wände voller Schwarz-Weiß-Fotos, das Wohnzimmer als Galerie. „Ich wäre gern Einrichterin geworden“, sagt Anouschka Renzi und dreht das 50er-Jahre-Radio am Küchenfenster aus. Sie liebt das alte braune Ding mit den Kerben aus sechs Jahrzehnten. „Leider lässt es sich nicht mehr leise stellen“, sagt sie. Auf dem Klavier im Esszimmer stehen Familienfotos, gleich daneben der lange geschwungene Holztisch, an dem sie Rolf Zacher beim „Perfekten Promi-Dinner“ den Mittelfinger zeigte. Wieder Ärger, wieder Klatschspalte.
Ihre tiefe Stimme hat etwas Schmatziges, immer wieder bricht sie mitten im Satz ab, verheddert sich in der Grammatik, fängt von vorn an.
Klar hat sie weniger zu tun als früher, aber das sei ja auch keine Tragödie, sagt sie. „Ich kann diese Branche nicht ändern, und ich kann auch nicht ununterbrochen versuchen, Leute davon zu überzeugen, dass ich…“, Anouschka Renzi macht eine lange Pause. Ja, wovon eigentlich? „… dass ich gut bin! Ich habe keine Lust mehr zu kämpfen. Ich bin müde.“
Ihr Handy klingelt, immer wieder, sie geht nicht ran.
Ihre Kindheit verbrachte sie in Saint-Tropez, wo „La cage aux folles spielt“
Elf Mal hat sie die Schule gewechselt, 22 Kindermädchen, die Eltern nie zufrieden und sie wohl auch ein bisschen schwierig. Nach der 10. Klasse in die Schauspielschule, dann Theater, Theater, „zehn Jahre durchgeschrubbt“, sagt sie. Sie hat versucht, ihrer Tochter ein wenig mehr Stabilität zu vermitteln, eine Wohnung, eine Schule, nur mit den Männern hat es nicht so geklappt. Chiaras Vater spielt längst keine Rolle mehr, von ihrem zweiten Mann lebt sie auch getrennt.
Wieder klingelt das Telefon. Sie muss sich gleich fertig machen, Gitte Haenning feiert gleich Premiere im Tipi.
Es sind fast nur Theaterrollen, die man ihr noch anbietet, sie würde gerne mehr drehen. Sie habe es verpasst, sich etwas anderes aufzubauen, sagt sie, „ich war zu faul. Jetzt ist es dafür zu spät.“ Manchmal, wenn sie ein halbes Jahr lang nichts zu tun hat, bereut sie das.
Sie hätte lügen sollen, „wie alle anderen“, sagt sie heute
Und sonst? Die OPs? Nein, das nicht, „aber ich hätte lügen sollen“, sagt sie. „Wie alle anderen.“ Alle wissen es, man sieht es auch, aber man darf nicht drüber sprechen. Bei ihr sprechen seit Jahren alle von nichts anderem mehr.
Also zurück auf die Bühne. Dass sie auch ein paar Zeilen singen muss, sei ihr peinlich, hatte sie noch gesagt. Doch das fällt hier niemandem auf. Im Scheinwerferlicht der Bar jeder Vernunft hat sie mit den Flatterarmen ihres indianergemusterten Kleids etwas Tigerhaftes. Sie wird schon weiterkämpfen. „Die schönste Zeit ist heut“, singt sie. Und geht ab.
„La cage aux folles – Ein Käfig voller Narren“ läuft noch bis zum 10. Januar in der Bar jeder Vernunft, Schaperstraße 24, Wilmersdorf. Karten ab 35 Euro. Weitere Infos unter: www.bar-jeder-vernunft.de