Archiv zur Punkszene der DDR

Codename Pankow

Im Substitut in Pankow spüren Besucher der Punkszene der DDR nach.
Im Substitut in Pankow spüren Besucher der Punkszene der DDR nach.
Berlin hat seit 2011 ein eigenes Online-Archiv zur Punkszene in der DDR. Sein Gründer kennt sich mit dem Sujet bestens aus, denn er war einst selber aktiver Ost-Punk.

Wie finden es wohl seine ehemaligen Punk-Kollegen, dass Ex-Punk Boehlke – Szenename Pankow – mit der Vermarktung ihrer Subkultur Geld verdient? Nicht alle, meint Michael Boehlke, aber viele würden sich schon über 150 Euro freuen, die einfach so auf ihrem Konto landen, ohne Arbeitsaufwand. So abwegig ist das für einen Punk auch nicht: Kohle machen, ohne dafür zu schuften.

Boehlke ist der Mann hinter dem weltweit ersten und schwer zu übertreffenden Archiv für Punkkultur der DDR. Im Juli 2011 öffnete das „Substitut“-Büro in Prenzlauer Berg. Dort lagern rund 5000 Stasiakten, Super-8-Filme, Musikmitschnitte und Dias, die von Medien, Museen und Historikern genutzt werden können. Das Büro ist jedoch in erster Linie die Zentrale einer Produktionsfirma für Filme, Ausstellungen und Publikationen. Wer das Archiv nutzen möchte, sollte sich mit „Substitut“ in Verbindung setzen – viele Materialien sind auch online verfügbar.

Michael Boehlke ist 47, schlank, groß und aufrecht. Der Aufbau des Archivs war auch eine Auseinandersetzung mit seiner eigenen Vergangenheit. 1980 wurde er Sänger in der staatskritischen Band „Planlos“, nähte sich Reißverschlüsse und Buttons auf seine Klamotten, formte die Haare wie unter Hochspannung. Bandproben fanden in einem mit Matratzen ausgekleideten Kohlenkeller statt.

Subkultur war gefährlich

Einer Subkultur anzugehören war in der DDR mehr als nur eine jugendliche Mode. Der Staatsapparat reagierte auf die illegalen Bands mit großer Härte. Boehlke wurde ein ums andere Mal festgenommen und verhört. Seine damalige Freundin saß anderthalb Jahre im Gefängnis. Die Stasi hatte ein Buch mit Liedtexten bei ihr gefunden, somit gab es Beweismaterial. Boehlke kannte seine Texte im Schlaf und verbrannte inkriminierende Manuskripte. Seine Punkphase ging 1983 in der NVA zu Ende, zum Wehrdienst war er gezwungen worden.

Erst 20 Jahre später beschäftigte diese Zeit Boehlke erneut. Anfang des neuen Jahrtausends wurde die westliche Punkkultur vielfach in Literatur und Medien thematisiert, an die Ost-Punks dachte jedoch niemand. Ex-Punk Boehlke ärgerte das. Er kontaktierte seine alten Kollegen aus der Szene. Ob sie ihm Fotos und Filme überlassen würden, für eine Ausstellung über Ost-Punks? Klar, für „Pankow“ jederzeit. Die Ausstellung „Too much future – Punk in der DDR“ war ein großer Erfolg in Ostdeutschland. Unter demselben Titel entstand ein Dokumentarfilm, der 2009 beim Filmfestival in Chicago lief. Das internationale Interesse an der Thematik sei groß, weiß Boehlke. Insbesondere US-Amerikaner möchten mehr über die Subversivkultur im Kommunismus erfahren.

Die Punks von damals

Demnächst plant Boehlke, der in der DDR Maschinenschlosser werden musste, obwohl er lieber Regisseur geworden wäre, einen Spielfilm zu drehen. Zusammen mit Punkkollege und Planlos-Schlagzeuger Bernd Michael Lade, bekannt als ehemaliger Leipziger Tatort-Kommissar an der Seite von Peter Sodann. Der Film soll von den Schikanen der Staatsgewalt gegenüber Einzelpersonen in der DDR erzählen.

Die Punks von damals sind heute Hausbesitzer am Müggelsee, Musiker, Filmleute, Handwerker oder Frührentner, manche haben psychische Probleme durch ihre Stasi-Haft. Boehlke besuchte viele von ihnen und fand neben der Angepasstheit an die Gesellschaft, die häufig ab einem gewissen Alter einsetzt, immer noch die Verweigerung. Der Wille zur Andersartigkeit und eine gute Portion Skepsis sind vielen Ex-Ost-Punks geblieben. „Die machen so ihr Ding.“ Punks seien vor allem Individualisten, wollten nie so sein wie jedermann. Das mit dem Andersaussehen hat sich jedoch mit zunehmendem Alter erledigt, jedenfalls bei Boehlke. Nur seine Sprache erinnert noch an die Punkszene. „Sch…“ kommt darin vor, „fett“ oder „tote Oma“. Einmal Punk, immer Punk, also doch.
 


Quelle: Der Tagesspiegel

Substitut, Rykestraße 35, 10405 Berlin

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