Ein Pappkarton. Eine Plastikflasche. Ein Turnschuh. Ein Ball. Ein Ei. Als mir der Künstler René Wirths, den ich am gemütlichen Kamin im Grunewalder Haus Paulsborn kennenlerne, seinen Katalog in die Hand drückt, bin ich nicht sehr beeindruckt. Alltagsgegenstände vor weißem Hintergrund zu fotografieren – ich will gar nicht wissen, was der Künstler mir damit sagen will. Höflich will ich mir den von ihm geschenkten Katalog und eine Einladung zu seiner Vernissage in die Tasche stecken. „Du weißt schon, dass das alles gemalt ist, oder?“ Ich schlage den Katalog noch einmal auf. Das ist tatsächlich unfassbar. All diese Gegenstände sollen gemalt sein? Dreidimensional, perfekt, detailgenau. Am meisten fasziniert mich das Bild eines Bestecksets. Großer Löffel, kleiner Löffel, eine große Gabel, eine kleine Gabel, ein Messer. Das Besteck glänzt, im Löffel spiegelt sich der Künstler beim Malen. Die Gebrauchsspuren wirken so echt!
Überhaupt haben die Gegenstände, die René Wirths malt, Patina. Das Leder auf dem Fußball blättert ab, der Turnschuh ist durchgelaufen, die Plastikflasche ist eingedellt. Als ich höre, dass die Bilder in Wirklichkeit überdimensional groß sind, kann ich es kaum abwarten, vor ihnen zu stehen. Tagelang schwärme ich meinen Freunden und Kollegen von dieser perfekten Kunst vor, zeige jedem Gast in meiner Wohnung den Katalog. Die meisten sind genauso sprachlos wie ich, dass man den Unterschied zu einer Fotografie nicht erkennt. Einer will es mir nicht glauben. „Quatsch. Das ist ein ausgedrucktes Foto, sieht man doch sofort.“
Alltagsgegenstände, aber keine Auftragsarbeiten
Als der Tag der Vernissage endlich da ist, treffe ich mich mit meiner Freundin vor den Ausstellungsräumen des Haus am Lützowplatz. Hier werden im Jahr bis zu acht Ausstellungen zeitgenössischer Künstler gezeigt, es gibt Vorträge, Performances, Filme und Symposien. In den nächsten zwei Monaten gibt es hier das was bleibt. René Wirths malt ausschließlich Alltagsgegenstände, die ihm selbst etwas bedeuten. Auftragsarbeiten mag er nicht annehmen, weil es nicht das ist, was seine Kunst für ihn ausmacht. Auch malt er Portraits seiner Wegbegleiter. Freunde und Kollegen werden gemalt, eine Sitzung dauert etwa ein bis zwei Stunden. Er malt nicht vom Foto ab, Objekte und Menschen stellt und setzt er vor sich hin und malt, was er sieht.
Für die meisten seiner Werke braucht er mehrere Monate. Und seine Kunst ist teuer. Das Bild, das ich so gerne haben möchte, das mit dem Besteck, würde 48.000 Euro kosten. Das habe ich leider nicht dabei an dem Abend, und ich befürchte, es würde sich in meiner kleinen 1-Zimmer-Wohnung auch nicht so gut machen. Das Bild meiner Träume ist etwa 2 x 2 Meter groß. Aber ich muss ja nicht alles haben, was ich schön finde. Ich weiß nur jetzt schon, dass ich diese Ausstellung wieder besuchen werde.
An den kommenden Samstagen kann der Künstler im Rahmen der Aktion Begegnungen bei der Arbeit beobachtet werden und man kann ihn kennenlernen. Ich freue mich, dass ich René Wirths persönlich sagen durfte, wie sehr mich seine Kunst bewegt und inspiriert. Und das vollkommen ohne Kunstverstand. Aber, wie ein guter Freund von mir, auch Künstler, mal sagte: „Es ist völlig egal, ob du Kunst verstehst. Gefallen muss sie dir. Dann ist die Kunst das, was sie erreichen will.“