Als Mainstream-Medium der Jugend hält die Bravo seit 1956 den jeweiligen gesellschaftlichen Entwicklungen recht genau einen Spiegel vors Gesicht. Nach der Gründung sollte es deshalb zwanzig Jahre lang keine einzige Stimme zu gleichgeschlechtlicher Orientierung in der Berichterstattung über Berühmtheiten und Popkultur geben. Zwar werden Stars wie Rock Hudson, Rex Gildo oder Jürgen Markus häufig für das Cover abgelichtet – über das potenziell karrieregefährdende Thema der Homosexualität bleibt man jedoch sowohl von Seiten der Stars als auch der Redaktion stumm.
Schlagersänger und Aufklärung
Erst 1976 ergriff die Musikredaktion der „Bravo“ das erste Mal das Wort in Sachen Homo-Themen: Sie verteidigte den indizierten Schlagersänger Bernd Clüver, der für sein Rubettes-Cover „Mike und sein Freund“ von den Musiksendern boykottiert wurde. Das Stück erzählt vom Freitod eines schwulen Paares, das vom Vater eines der Männer so weit getrieben wurde. Die „Bravo“ schrieb damals: „Immer wird den deutschen Schlagertextern vorgeworfen, sie würden nur seichte Liedchen liefern. Wenn sie mal ein echtes Problem aufgreifen, ist es auch nicht recht.“
Bei der Aufklärung hingegen gab es bereits im Jahr 1969 rund 30 Beiträge in dieser Richtung, wie Erwin In Het Panhuis in der von ihm kuratierten Ausstellung zeigt, für die etwa 2700 Exemplare gesichtet wurden. Viele erklärende Texte unterstützen die Ausschnitte aus der größten deutschen Jugendzeitschrift. Authentizität erhält die Ausstellung durch originale Leserbriefe und Dokumente sowie die liebevoll zusammengestellten Starschnitte, die jedoch nur von Männern wie den Village People oder Limahl von Kajagoogoo bevölkert sind. Offen schwule Popstars scheint es mehr zu geben als lesbische, weswegen nur ab und an von Sängerinnen wie Skunk Anansie Starschnitte herausgebracht wurden.
Bei den Leserfragen hingegen schreiben sowohl Jungen als auch Mädchen an die Redaktion. So möchten etwa zwei Mädchen, 13- und 14-jährige, wissen, ob sie lesbisch sind, wenn sie sich gerne auf dem Bett liegend gegenseitig abtasten und ihnen das „ganz tolle Gefühle“ beschert. Die meisten Jugendlichen in dieser Situation beschäftigt diese Frage. Für den 15-jährigen Holk ist außerdem wichtig zu wissen: „Wenn ja, wie komme ich davon los?“
Die sexuelle Revolution brauchte ihre Zeit
Von 1964 bis 1969 fällt das Urteil von „Dr. Christoph Vollmer“, das Pseudonym, unter dem Marie Louise Fischer für die „Bravo“ schreibt, sehr streng aus. Von „seelischen Störungen“ ist die Rede und von Unreife. Mit dem Psychotherapeuten und Religionslehrer Martin Goldstein wird die Herangehensweise lockerer, was nicht zuletzt auch an der sexuellen Revolution und der Entschärfung des Paragraphen 175 liegt. Bis 1984 gibt er als „Dr. Jochen Sommer“ Ratschläge. Das Pseudonym steht noch heute in der „Bravo“, beinhaltet aber inzwischen ein ganzes Team von Ärzten.
Die Arbeit Goldsteins wird bei der Ausstellung ausführlich unter die Lupe genommen. Über den Mann, der 1927 einem jüdisch-protestantischen Paar geboren wurde, erfährt man relativ wenig. Bei 3000 Zuschriften im Monat wäre es interessant zu wissen, wer das ist, der so viel Vertrauen entgegen gebracht bekommt. Vor zwei Jahren gab es ein Fernsehinterview mit ihm, das jedoch leider nur in einzelnen Bildern gezeigt wird. Dabei geht es darin um die recht interessanten Hintergründe zu einem Aufregerthema aus dem Jahr 1972. Damals schrieb Goldstein unter anderem Pseudonym, „Dr. Alexander Korff“, über die geteilte Selbstbefriedigung des zwölfjährigen Udo und seines Freundes. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indizierte die „Bravo“ aufgrund dieses Textes, den sie als „Desintegration der Sexualität in die gesamtmenschliche Persönlichkeit und damit als sozial-ethisch begriffsverwirrend“ einstufte. Dabei war es nur eine Jugenderinnerung Dr. Korffs, der sich selbst im Text den Namen Udo gab.
Nachdem Martin Goldstein 1984 bei der „Bravo“ aufhörte, wurde weiter „uneingeschränkt Mut zur Homosexualität“ auf den Aufklärungsseiten gemacht, heißt es bei den Ausstellern. Auch die Berichterstattung zum Thema AIDS schätzen sie hauptsächlich positiv ein. Eine Titelgeschichte zum Thema Homosexualität erscheint in der „Bravo“ jedoch erst 1992.
Heute steht das Jugendmagazin den Boulevardblättern in Sachen rüder Behandlung von queeren Inhalten bei den Idolen und Geschichten in nichts nach. Bei der Aufklärung legt die „Bravo“ aber immer noch vor. Bekommt das Dr.-Sommer-Team den Brief eines aufgelösten Jungen, der seinen besten Freund liebt, so antworten sie feinfühlig und bedacht.
Die Ausstellung im Schwulen Museum ist noch bis zum 6. August zu sehen.