Ihr Kopf liegt schwer auf der Hand, das Gesicht ist zerknautscht, Brüste und Bauch hängen nach unten, die Augen sind geschlossen: Die üppige Sue Tilley scheint trotz ihrer körperlichen Fülle auf dem Bild zu schweben. Lucian Freud, der Enkel des Psychoanalytikers Sigmund Freud, porträtierte 1995 die Verwaltungsbeamtin, die er in einem Londoner Nachtclub kennenlernte. Fasziniert von Tilleys bulligen Beschaffenheit inspirierte die Radierung Large Sue (1995) Freud zu weiteren Akt-Zeichnungen. Mit feinen, schwarzen, mehrfach parallel gesetzten Linien, die sich zu dunklen Schatten verdichten, porträtierte er immer wieder Menschen, die er gut kannte.
Flucht von Berlin nach London
Erstmals werden nun in Lucians Freuds Geburtsstadt Berlin 51 Radierungen vom Portrait-Großmeister gezeigt. Die Ausstellung Closer im Martin-Gropius-Bau sind Leihgaben der UBS Art Collection und präsentieren neben den Radierungen ein Aquarell und zwei Gemälde des Künstlers. Lucian Freud, der 1922 in Berlin geboren wurde und 1933, im Jahr der Machtübernahme der Nationalsozialisten, mit seiner Familie nach England fliehen musste, hielt seine Flucht künstlerisch fest. Berühmt wurde er vor allem durch Porträts von Menschen, die er mit fast wissenschaftlicher Genauigkeit beobachtete und auf Papier brachte. Jenseits von Schönheitsidealen hält er jede Narbe, Falte und andere Unregelmäßigkeit, ob nackt oder nicht, fest. „Ich male Menschen nicht, weil sie so sind, auch nicht unbedingt, obwohl sie so sind, sondern wie sie nun einmal sind“, erklärte Freud, der 2011 verstarb, in einem Interview mit dem britischen Kunstkritiker William Feaver.
Aber nicht nur Menschen, auch Tiere sind ein Motiv in Lucian Freuds Werken: Sein Ölgemälde Double Portrait (1988/90) zeigt das Modell Susanna Chancellor mit seinem geliebten Windhund Pluto. Ihre rechte Hand liegt auf dem Hund, der sich eng an sie schmiegt. Das Motiv des Windhundes greift Freud in der Radierung Pluto (1988) wieder auf. Es zeigt lediglich einen Ausschnitt es Gemäldes – und zwar Pluto. Doch im Gegensatz zu dem Ölgemälde in pastosen Farben ist die Radierung schwarz-weiß gehalten. Der Fokus liegt auf dem ruhenden Tier, dem er durch die Radierung näher kommt. Wie in all seinen Radierungen lässt er den Hintergrund weg. So wirken seine Figuren noch intimer und lebendiger.
Ab 1982 entdeckte er die Druckgrafik für sich
Mit den Radierungen begann Freud ab 1982, nachdem seine Malereien bereits erfolgreich waren. Bei dieser Technik werden feine Linien in Kupferplatten gekratzt, durch Säure vertieft und mit Tinte gefüllte auf Papier gedruckt. Anschließende Korrekturen sind fast unmöglich. Mit seinen Modellen arbeitete er daher unmittelbar und zeichnete zumeist Personen, die ihm nahe standen: Seine Mutter, seine Tochter Bella, den australischen Performancekünstler Leigh Bowery und schließlich auch sich selbst. Seine Werke sind eine Hommage an die Vergänglichkeit der Menschen, deren Körper Geschichten vom Leben erzählen. Freuds Hauptaugenmerk liegt auf ihrer Verletzlichkeit und wie sein berühmter Großvater gibt er so dem Innenleben des Menschen den meisten Raum.
Die Ausstellung Lucain Freud: Closer – Radierungen aus der UBS Art Collection kannst du dir bis zum 22. Oktober 2017 im Martin-Gropius-Bau ansehen.