Eigentlich ist Sarah Schmidt gar keine „waschechte“ Berlinerin. Geboren wurde die sympathische Schriftstellerin, die sich unter anderem als Mitglied der Reformbühne Heim & Welt einen Namen machte und 2004 ihren ersten Roman „Dann machen wir’s uns eben selber“ veröffentlichte, 1965 im Norden des Ruhrgebiets. Berufliche Gründe führten Schmidts Vater 1976 wieder in seine alte Heimat Berlin zurück. Doch obwohl die Großmutter im Osten der Stadt lebte, blieb der Rest der Familie im Westen. „Wir sind damals nach Schmargendorf gezogen und ich hatte immer wahnsinnige Angst, wenn wir meine Oma in Weißensee besucht haben“, erinnert sich Schmidt. „Dort war alles immer so grau und kein Mensch war auf der Straße unterwegs.“
Aus dem Berliner Südwesten zog es Sarah Schmidt früh in eine Jugend-WG in einer Fabriketage an der Oranien-/ Ecke Adalbertstraße. Dem Bezirk ist sie bis heute treu geblieben. Und das, „obwohl es hier früher auch noch viel grauer war als heute“, so Schmidt. „Viel los war ebenfalls noch nicht. Es gab vielleicht drei Läden im ganzen Kiez, in denen man die Nacht durchmachen konnte. Um zu feiern musste man eher nach Steglitz oder Schöneberg. Beliebt waren zum Beispiel der ‚Dschungel‘ oder die ‚MusicHall‘ in der Rheinstraße“, erinnert sich die Autorin, die bereits in ihren frühen Kreuzberger Jahren Mutter eines Sohnes wurde.
So weiß die Autorin zum Beispiel von der Geschichte der Kirche am Südstern zu berichten. Sie sei Ende des 19. Jahrhunderts ursprünglich als Garnisonskirche für die preußischen Soldaten errichtet worden, die auf dem benachbarten Manövergelände, dem heutigen Tempelhofer Feld, ihren Dienst taten. Und auch über den geplanten Autobahnzubringer, der in den 70er Jahren „beinahe den Kotti zerstört“ hätte und eine „Initialzündung“ für die Besetzerszene war, informiert uns Schmidt, als wir gegen Ende unseres gemeinsamen Nachmittags Limonade schlürfend im beliebten queeren Treffpunkt Südblock sitzen.
Türkische Familien neben knutschenden Männern
Die nette Bar, in der es nicht nur leckere Snacks und viele Veranstaltungen, sondern auch einen wirklich kiezigen Biergarten gibt, ist eine von Schmidts Lieblingsadressen. „Der Südblock hat für die Ecke wirklich total viel gebracht. Hier sitzen türkische Familien neben knutschenden Männern – und das funktioniert einfach super“, berichtet die Schriftstellerin, die sich selbst zwar als aufmerksame Beobachterin des Berliner Alltags bezeichnet, jedoch keine passionierte Spaziergängerin ist. „Ohne Sinn durch die Gegend zu schlendern oder stundenlang allein im Café zu sitzen mache ich eigentlich nicht so gern. Dafür bin ich aber kreuzberg-untypisch eine leidenschaftliche Autofahrerin“, schmunzelt Schmidt.
Und dennoch: Im Alltag der Protagonistinnen, die „im letzten unsanierten Mietshaus der Gegend“ leben, finden sich gerade ihre Berliner Leser wieder. „Ganz viele Leute sprechen mich an, weil sie noch, wie im Buch beschrieben, mit Kohle heizen. Auf diesem Gebiet bin ich mittlerweile eine richtige Expertin“, lacht Schmidt, die im Laufe unseres Gesprächs immer wieder nach allen Seiten hin grüßt und gerne für ein Schwätzchen anhält.
Die steigenden Mieten bezeichnet sie allerdings als „bedenklich“ – für die ganze Stadt. „Es geht einfach nicht, dass auf einmal die Hälfte der Leute wegziehen muss weil sie sich eine Gegend nicht mehr leisten kann“, betont Schmidt. Gut findet sie den Ansatz, Mietergewerkschaften einzurichten. „Dann kann man notfalls mit Streik drohen und sich zur Wehr setzen“, sagt die Autorin. Auf die Frage, wie sie zur Bebauung des Tempelhofer Feldes gestanden habe, antwortet Schmidt: „Das Ergebnis des Volksentscheids war genau das richtige. Ich finde ohnehin, dass ein gewisser Stillstand für die Stadt gerade das Beste ist. Man sollte sich einfach viel mehr Zeit nehmen und über neue Projekte länger nachdenken.“