Pinguine in der Küche, Schießübungen im Wald, dubiose Drogendeals im Parkhaus und Lamas entführen auf dem Weg nach Hause: Ja, Axolotl Roadkill
Annika (Laura Tonke) ist Miftis Halbschwester und eine Spießerin vor dem Herrn. Sie scheint komplett mit der Rolle als Ersatzmutter für Mifti überfordert zu sein. Kein Wunder, schließlich herrscht zwischen den beiden und Halbbruder Edmond (Julius Feldmeier) eher Berliner WG-Flair mit Wodka Shots zum Geburtstag. Familiärer Rückhalt oder gar Erziehung ist hier eher Fehlanzeige.
Schule macht für Mifti sowieso keinen Sinn: Gleichaltrige Mitschüler beachtet sie nicht und mit Lehrern gerät sie nur in Autoritätsstreit. Sie freundet sich lieber mit der Schauspielerin Ophelia (Mavie Hörbiger) an, die wegen einer Alkoholfahrt in Miftis Schule Sozialstunden abarbeiten muss. Mit ihr geht es auf ins Berliner Nachtleben, inklusive verrückter Männergeschichten und Nervenzusammenbrüchen.
Verkompliziert wird der alltägliche Struggle durch Alice (Arly Jover). In die schöne Mittvierzigerin, die sich als High Society-Dealerin verdient macht, ist Mifti schwer verknallt. Doch was tun, wenn die Angebetete lieber mit einem anderen Mann aufs Hotelzimmer geht?
Mifti ist provokant, sie haut schon mal unmögliche Sätze raus wie: „Vielleicht sollte ich mal richtig vergewaltigt werden“. Ist sie einfach ein kaputter Teenager, weil Papa verrückt ist? Nein, so einfach ist das nicht. Mifti wirkt in vielen Situationen ihrem erwachsenen Gegenüber meilenweit voraus. Sie ist analytisch und nimmt Beziehungen und Personen sehr genau wahr. Sie wirkt beinah schrecklich normal im Vergleich zu der exzentrischen Ophelia – das Nervpotenzial dieser Figur ist fast schlimmer als die Figur Alice Harford in Eyes Wide Shut und das ist kaum zu toppen.
Diese erwachsene, in sich ruhende Seite von Mifti trifft auf die Rolle der Macherin. Sie ist burschikos und laut, dann wieder verletzlich. Ein anderes Mal ist sie selbstständig und weise, dann wieder nervend, unglaublich leichtsinnig und dann wieder lethargisch.
Eine derart vielschichtige Figur, die so unbeeindruckt durch eine völlig bekloppte Welt schreitet, wird so gut wie nie von einer Frau gespielt und davor ziehen wir unseren Hut. Vor allem weil Jasna Fritzi Bauer, die unterschiedlichen Temperaturen, ob nun heiß, lauwarm oder kalt, in der Figur herausholt, ohne den drohenden Stempel der launenhaften Göre zu provozieren. Vielmehr weiß sie die Widersprüche in Mifti so gut zu pointieren, dass es uns schnell an uns selbst erinnert, auch wenn unsere Gefühlslage sehr weit davon entfernt ist.
Besonders interessant ist in Axolotl Overkill, dass Mifti sich zwar alles rausnimmt, aber mit dieser Freiheit gar nichts anfangen kann. Berlins Partywelt knallt zwar so richtig auf der Leinwand, aber nicht für die Hauptfigur selbst. Jedes Entdecken oder Loslassen dauert gefühlt nur eine Millisekunde an, dann geht’s wieder in den Strudel aus Problemen.
Fazit: Ein Axolotl ist ein mexikanischer Schwanzlurch, der Zeit seines Lebens im Larvenstadium bleibt und die Fähigkeit besitzt Gliedmaßen oder Organe wiederherzustellen. Dazu passend spielt in der Story von Axolotl Overkill das Alter und auch das Geschlecht kaum eine Rolle. Männliche Figuren mit Erinnerungspotenzial gibt es allerdings kaum. Einziges Gegenbeispiel: Komiker Oliver Polak in der Rolle des Tierverkäufers.
Großes Plus vom Film: er lässt uns mitfühlen, zeigt Emotionen, wo wir keine Ahnung hatten, dass man sie so ausdrücken kann. Das wird verstärkt durch den richtig guten Soundtrack, so bringen Tracks wie Nobody Knows
Axolotl Overkill läuft ab heute unter anderem in den Hackeschen Höfen, im Cine Star Berlin oder im Filmkunst 66.