Als ich einer Freundin von meinem großartigen Abend in der Weserstraße in Neukölln erzähle, tue ich ihr, glaube ich, ein bisschen leid. Sie erzählt mir, wie die Szene sich hier in den letzten Jahren verändert habe. Früher waren hier alle cool und freundlich, heute sitzen arrogante Pseudohipster in den Cafés und man kann froh sein, wenn man auf der Straße nicht angerempelt und umgerannt wird. Deswegen ist sie hier auch weggezogen.
Wohnen will ich vielleicht auch nicht mitten im Kiez, weil ich absolute Ruhe haben möchte, wenn ich zuhause bin, aber der Abend ist fantastisch und absolut empfehlenswert für Neuberliner und für Berliner, die Gästen mal was Besonderes zeigen möchten. Weil diese Stadt so großartig ist in all ihren Facetten.
Selbstbewusster Kellner mit Charme
Meine Freunde und ich beginnen den Abend im Wild Things, einer recht neuen Weinbar, die von außen erst mal nichtssagend ist, wie so viele Bars und Restaurants in dieser Straße, von innen aber spontan begeistert und so viel hält, wie unser sehr selbstbewusster Kellner, der sich als Sommelier vorstellt, verspricht. Ich frage ihn, welchen Wein er mir empfehlen kann. Alle, sagt er. Aha. Ich bin seinem französischen Charme erlegen und sage ihm, er solle einfach einen Wein bringen, von dem er glaube, dass er zu mir passt. Der Wein passt. Ein Weißwein von der Loire, den Namen weiß ich nicht. Ich habe ihn ja nicht ausgesucht.
Wir überlegen, was wir essen; unser Kellner Sébastien sagt, alles wäre empfehlenswert. Der Mann ist wirklich selbstbewusst. Und etwas überfordert. Je mehr sich der Laden füllt, desto öfter vergisst er uns, was uns nichts ausmacht, weil wir uns wohlfühlen und die wirklich schöne Atmosphäre genießen. Fürs Warten werden wir belohnt mit exzellentem Essen. Die Portionen sind alle recht günstig und recht klein, aber das Konzept ist auch, dass verschiedene Speisen probiert werden. Von allem ein bisschen.
Wir bestellen Austern und Datteln im Speckmantel mit Nüssen, was für eine leckere Variante! Dazu gibt es Chicken Wings mit Kimchi-Mayonnaise, Tatar und Popcorn aus der Tüte mit Sesam und Seetang, Furikake heißt die Gewürzmischung. Davon bestelle ich sofort noch eine zweite Portion. Das Publikum gefällt mir sehr. Jung, fröhlich, Studenten, Touristen, die Aura im Raum ist einfach eine sehr herzliche und friedliche. Wie auch anders, bei gutem Wein, leckerem Essen und dem perfekt gedimmten Licht.
Sepp aus Bayern und ein Tisch voll harter Männer
Auf der Suche nach einer Bar gegen 22 Uhr verzweifeln wir fast. Gut, dass es hier alle paar Meter eine gibt. Die ersten beiden sind supervoll, wir landen im Ratzeputz. Ich liebe Berlin, denke ich, als wir uns setzen. Das denke ich oft – heute, weinselig, besonders. Wir bestellen Cocktails und es riecht nach Gras. Unser Tisch ist übersät mit Brandstellen von Zigaretten, an jedem Tisch sitzen Raucher. Die Toiletten sehen aus wie die, die ich aus den frühen Neunzigern kenne, als abgeranzt sehr cool war.
Wir lernen Sepp aus Bayern kennen (echter Name!) der sich ziemlich trunken auf uns eingeschossen hat. Er ist 25, selten in Berlin und total geflasht. Er setzt sich zu uns und hört nicht mehr auf zu reden. Ich mag, dass wir nett zu ihm sind, weil ich will, dass Touristen zuhause erzählen, dass in dieser Stadt gute Menschen wohnen. Die Mischung der Gäste ist hier total verrückt. Liebespaare aus England treffen auf betrunkene Szene-Berliner; ein Tisch sieht aus, als hätten sich alle Bösewichte aus Gangsterfilmen verabredet. Einer von ihnen spricht mich an. „Du musst keine Angst vor mir haben.“ Ich: „Ich habe doch keine Angst!“ Er: „Naja, ich sehe hart aus, aber der Kern ist weich. Und wenn man Ausländer ist, gibt es eben oft Vorurteile.“
Ich nehme mir vor, dass ich an meinem Blick arbeite. Und nicht so starre. Dazu neige ich leider. Weil ich jede Faser dieser Stadt begreifen und aufsaugen will. Ich komme wieder ins Wild Things – inspiriert von dem wunderbaren Kinderbuch Wo die wilden Kerle wohnen – und auch ins Ratzeputz. An dieser Stelle bitte ich darum, nicht mehr so viele schöne neue Läden in dieser Stadt zu eröffnen. Sonst bin ich gar nicht mehr zuhause!