Lob vom ADAC für eine Verkehrsberuhigung? Das wäre einst undenkbar gewesen, schließlich haben die Autolobbyisten einst mit dem kernigen Slogan „Freie Fahrt für freie Bürger“ gegen Tempolimits protestiert. Doch die Zeiten haben sich geändert. Am Mittwoch nun hat der der ADAC das Pilotprojekt „Begegnungszone Maaßenstraße“ in seinem Städtewettbewerb ausgezeichnet, den auch Institutionen wie der Deutsche Städtetag, der Städte- und Gemeindebund, der Verkehrssicherheitsrat und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) unterstützen.
Im Schöneberger Vergnügungsviertel geht es nicht um irgendein Kiezprojekt, sondern um Modell, das auch an anderen Orten der Stadt ausprobiert werden soll. Weitere Zonen sind in der Kreuzberger Bergmannstraße und am Checkpoint Charlie geplant. Und Berlin ist längst nicht allein mit dieser Idee: In einer Stuttgarter Straße wurde das Projekt 2012 umgesetzt. Zwei Jahre später folgte Erfurt.
Keine neuen Gastwirte kommen dazu
In der Maaßenstraße in Schöneberg gilt schon jetzt Tempo 30 – gerast wurde allerdings trotzdem, vor allem nachts. Künftig sind 20 km/h erlaubt. Damit sich Auto-, Motorrad- und Radfahrer daran halten, wird die Fahrbahn verschwenkt und schmaler. Pro Richtung sollen sich Autofahrer und Radler eine Spur teilen. Nur für Lieferwagen bleibt eine Haltezone übrig, knapp 50 Parkplätze entfallen. Dies ist der einzige Kritikpunkt des ADAC, der Ersatzplätze in der Nähe verlangt. Die Verkehrsverwaltung argumentiert dagegen, es gebe „1000 Parkplätze in fußläufiger Entfernung“. Außerdem werde im Bezirk überlegt, den Stellplatzmangel in den Seitenstraßen durch eine Parkraumbewirtschaftung zu lindern.
Die Radwege auf den Gehwegen entfallen, weil sich Fußgänger und Radler oft in die Quere kamen. Über diese und andere Veränderungen war seit Ende 2013 in zwei Bürgerveranstaltungen und in einem Online-Forum diskutiert worden.
Umsetzung unterscheidet sich vom Vorbild
Volker Krane, ADAC–Vorstand im Landesverband Berlin-Brandenburg, lobte die „bedarfsgerechte, bezahlbare und umweltgerechte“ Planung der Berliner Stadtentwicklungs- und Verkehrsverwaltung. „Punktuelle“ Verkehrsberuhigungen seien sinnvoll, wenn „der Durchgangsverkehr kaum eine Rolle spielt“ und es wie in der Maaßenstraße viele Konflikte zwischen den Verkehrsteilnehmern gebe.
Die Umsetzung unterscheidet sich allerdings stark vom ursprünglichen Vorbild, dem „Shared Space“, in dem sich Autofahrer und Fußgänger auf Augenhöhe begegnen. In den Niederlanden sind alle Verkehrsteilnehmer in solchen Zonen gleichberechtigt, in der Schweiz haben die Fußgänger sogar Vorrang.
Doch so etwas erlaubt die deutsche Straßenverkehrsordnung nur in Spielstraßen mit Schrittgeschwindigkeit. Auch Radstreifen auf der Fahrbahn, die der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club für die Maaßenstraße forderte, sind in verkehrsberuhigten Straßen unzulässig.
Parken in Bergmannstraße nicht verboten
Zum zweiten Projekt in der Bergmannstraße gab es erste Veranstaltungen mit Anrainern, die Bürgerbeteiligung startet im September. Der Checkpoint Charlie kommt frühestens 2017 an die Reihe. Verkehrsplaner Wohlfahrt von Alm sagt, für jeden Ort müssten „individuelle Lösungen“ gesucht werden. Zum Beispiel könne man das Parken in der Bergmannstraße nicht überall verbieten.