Langsam wird es ernst mit dem Erzieherinnenmangel: Nachdem er jahrelang beschworen, aber letztlich immer wieder irgendwie abgewendet wurde, scheint es jetzt wirklich knapp zu werden. Jedenfalls verkündete Neuköllns Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU) am Montag, dass er jetzt eine 1000-Euro-Prämie an Erzieherinnen zahlen will, die bereit sind, ab April in einer Neuköllner Kita zu arbeiten und dabei die Probezeit überstehen. „Die Aktion ist zunächst auf 20 Fachkräfte begrenzt“, teilte Liecke mit.
50 Kinder sind schon unversorgt
Der Stadtrat befürchtet, dass es 2016 erstmals in Neukölln passieren könnte, dass Familien mit einem Rechtsanspruch keinen Kitaplatz erhalten. Bereits jetzt seien „gut 50 Kinder nicht versorgt“. Hinzu kämen etwa 80 Kinder aus süd-osteuropäischen Familien, die in Neukölln einen Platzanspruch haben und über das EU-Förderprogramm auch gezielt für einen Kitabesuch geworben werden sollen.
Der Zuzug nach Berlin ist aber nicht die einzige Ursache dafür, dass das Personal immer knapper wird: Zusätzliche Probleme bringt die Verschiebung der Schulpflicht. Rund 5000 Kinder bleiben damit automatisch länger in der Kita. Hinzu kommen die Kinder, die zurückgestellt werden, weil ihren Eltern die Schulpflicht mit knapp sechs immer noch zu früh erscheint. Zwar gilt das neue Gesetz erst von 2017/18 an. Aber viele Eltern nehmen die Regelung vorweg. Dies bedeutet allein für Neukölln, dass mehr als 550 Kinder länger im Kindergarten bleiben, berichtet Liecke.
Platz ist da, aber kein Personal
Besonders schwierig ist die Lage in der Köllnischen Heide. Hier gab es lange Zeit zu wenig Kitaplätze, bis Liecke eine Kita von 100 auf 200 Plätze hatte erweitern lassen. Nun sind die Kapazitäten da, aber nicht genug Personal. „Allein in Neukölln und dem Nachbarbezirk Treptow-Köpenick könnte der Kitaeigenbetrieb Südost bis zu 800 neue Kitaplätze schaffen, wenn ausreichend Erzieherinnen und Erzieher verfügbar wären“, rechnet Liecke vor. Aber gerade in Kiezen, in denen die soziale Lage schwierig sei und viele Einwohner einen Migrationshintergrund hätten, gebe es zu wenige Bewerbungen. Ohne eine bessere Bezahlung sieht Liecke wenig Chancen, die Lücken zu füllen.
GEW: Der Mangel roll wie eine Lawine auf Berlin zu
„Berlins Erzieherinnen sind bundesweit bei der Bezahlung Schlusslicht“, mahnt auch Doreen Siebernik, die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Andere Großstädte wie Frankfurt oder Hamburg würden sogar Zuschläge zahlen, obwohl die Erzieherinnen bereits mehr verdienten als in Berlin. Eine Erzieherin mit 15 Jahren Berufserfahrung verdiene selbst in Brandenburg rund 400 Euro brutto mehr als in Berlin. Siebernik sieht den Erziehermangel wie eine „Lawine“ auf Berlin zurollen. Die 1000 Euro Prämie, die Neukölln zahlen wolle, würden das Problem nicht lösen, sagt Siebernik.
Senat sieht „Panikmache“
Die Jugendverwaltung hält das Bild von der Lawine für „Panikmache“. Das Defizit sei „schon schlimmer gewesen“, erinnert sich Sprecher Ilja Koschembar. Allerdings werde es aktuelle Zahlen zum Einstellungsbedarf erst Ende März geben. Sie werden dann die Flüchtlings- und übrigen Zuzugszahlen sowie die Pensionierungswelle der Erzieherinnen berücksichtigen und auch die Konsequenzen des neuen Kita- und Haushaltsgesetzes abbilden: Wie berichtet, sollen die Krippen und die Brennpunktkitas künftig mehr Erzieherinnen beanspruchen können. Zudem entfällt die Krippengebühr. Auch dies könnte zu einer gesteigerten Nachfrage nach einer Betreuung führen.
Den Versuch, mithilfe einer Bonuszahlung Erzieherinnen anzulocken, hält die Verwaltung für rechtlich fragwürdig: „Wir kennen keine Grundlage im Tarifvertrag, auf der sich die angekündigte Prämienzahlung realisieren ließe“, reagierte Sprecher Koschembar auf den Vorstoß aus Neukölln. Liecke ist anderer Ansicht und verweist auf Zuzahlungen etwa an Lageso-Mitarbeiter.
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