Charlotte Roth: Als wir unsterblich waren
Im November 1989 macht sich eine junge Frau aus Lichtenberg auf den Weg nach Westberlin. Was sie „drüben“ erlebt, hängt irgendwie zusammen mit dem Schicksal ihrer Oma. Warum? Das ist die eigentliche Handlung im Buch der Berlinerin Charlotte Roth: In der Zeit zwischen 1912 und 1933 bewegt sich Paula zwischen der Studentenbewegung, dem Kampf für Frauen- und Arbeiterrechte und dem ganz normalen Berliner Alltag. Neben vielen Büchern aus der Zeit des Dritten Reiches schafft es dieses Buch endlich, auch die Weimarer Republik eindringlich zu schildern. Außerdem stecken eine tolle Liebesgeschichte, ganz viel Leidenschaft für Berlin und zum Teil sogar die Familiengeschichte der Autorin selbst in diesem spannenden Buch.
Als wir unsterblich waren
Jakob Hein: Kaltes Wasser
Mit diesem Roman hat sich Jakob aus dem Schatten seines Vaters Christoph geschrieben, der sich als Dramatiker betrachtet, aber durch seine Prosa berühmt wurde. Jakob Hein jedenfalls arbeitet schon länger als Schriftsteller und mit Kaltes Wasser ist er zum verlässlichen Bestsellerautor gereift. Wie kaum ein anderer verbindet er gekonnt Ost-Berliner Bilder mit West-Impressionen, DDR-Charaktere mit kapitalistischen Figuren. Sein Romanheld ist ein glaubwürdiger Lügner, ein krull-artiger Hochstapler und sympathischer Prahler, der es mit Leichtigkeit schafft, die Wende für sich zu nutzen, während seine linientreuen Eltern und grundehrlichen Klassenkameraden auf der Strecke bleiben.
Kaltes Wasser, Galiani-Berlin: Hardcover 18,99 Euro
Karin Kalisa: Sungs Laden
Während die einen das Thema Integration in Dauerschleife diskutieren, schreiben andere hervorragende Bücher über internationale Neu-Berliner. Karin Kalisa gehört dazu. Ihr Roman wirkt wie ein modernes Märchen, ja, fast wie eine phantasievolle Zukunftsvision, in der sich der Szenekiez Prenzlauer Berg zum idyllischen Völkerverständigungsparadies wandelt. Quelle dieser revolutionären Wende ist der Gemischtwarenladen von Sung. Hier verknüpfen sich die Schicksale ehemaliger vietnamesischer Vertragsarbeiter mit denen früherer DDR-Bürger und dem eines ganzen Stadtteils. Eine Berlin-Utopie, die das ganze Jahr Sommerlaune verbreitet.
Sungs Laden, Droemer Taschenbuch: 9,99 Euro
Olaf Schwarzbach: Forelle Grau
Apropos DDR: Von der Radio-Moderatorin Marion Brasch bis zum ehemaligen Pankow-Sänger André Herzberg schreiben gerade viele bekannte Berliner, wie sie die DDR erlebt haben. Ungeschönt, authentisch und humorvoll ist das, was dabei bei Olaf Schwarzbach herauskommt. Viele kennen ihn als Cartoonisten Ol. Er erzählt, wie es sich im kreativen Untergrund in Prenzlauer Berg gelebt hat, als so genannter „Asozialer“ weil vorübergehend Arbeitsloser und als einer, der eigentlich gar nicht in den Westen wollte. Illustriert ist dieser Teil seines Lebens nicht mit Zeichnungen, sondern mit privaten Fotos. Abgedruckte Berichte der Staatssicherheit leisten ihr Übriges für das Buch.
Forelle Grau: Die Geschichte von OL
Maxim Leo: Haltet euer Herz bereit
Noch ein sehr authentisches Stück DDR-Geschichte legt Maxim Leo vor. Der Berliner Journalist hat für Haltet euer Herz bereit Mitglieder seiner jüdischen Familie gefragt, wie es früher war. Dank der spannenden und teils ergreifenden Geschichte seiner Eltern- und vor allem Großeltern-Generation ist ein besonderes Buch entstanden. In all den Worten um eine einzige Familie steckt ganz viel Wahrheit über die Deutsche Demokratische Republik; auch darüber, woran sie am Ende zerbrach. Viele werden dank dem Blick auf die unterschiedlichen Generationen außerdem neue Seiten an dem alten Leben im System kennenlernen.
Haltet euer Herz bereit: Eine ostdeutsche Familiengeschichte
Timur Vermes: Er ist wieder da
An diesem Roman kam in den letzten Jahren niemand vorbei und die wenigen, die es geschafft haben, waren vermutlich im Kino, um sich die Verfilmung anzusehen. Und dennoch möchten wir Er ist wieder da in unsere Empfehlungsliste mit aufnehmen, sonst würde sie unvollständig wirken. Die Geschichte rund um Adolf Hitler, der nach 66 Jahren 2011 in Berlin aufwacht und sich vom Diktator zum Reality-Star entwickelt, ist schlichtweg ein Wahnsinns-Debüt von Timur Vermes.
Er ist wieder da, Eichborn Verlag, Taschenbuch: 9,99 Euro
Hanns-Josef Ortheil: Die Berlinreise
Damals 1964, als die West-Berliner noch stolz waren auf ihren Insel-Status, besuchte ein zwölfjähriger Kölner Junge die Stadt an der Spree und verfasste seine Reisenotizen in Tagebuchform. Klingt nach Allerwelts- oder sogar Frühpubertätsliteratur, ist es aber nicht. Denn der Knabe hieß Hanns-Josef Ortheil und ist mittlerweile ein erfahrener und erfolgreicher Autor. Groß überarbeitet will der Die Berlinreise übrigens nicht haben, was für sein Talent spricht, das er in frühester Jugend schon hatte. Allerdings weist das Buch deutlich fiktionale Züge auf… Ist aber auch egal, ob das junge Genie oder der versierte Schriftsteller für das fabelhafte Ergebnis verantwortlich ist. Der Roman zeigt uns Hauptstädtern auf jeden Fall, wie wir nach außen wirk(t)en und in was für einer eindrucksvollen Großstadt wir leben.
Die Berlinreise
Wolfgang Herrndorf: In Plüschgewittern
Herrndorfs Tschick ist zum Bestseller und Kino-Erfolg geworden. Sein erster Roman ist aber genauso lesenswert und witzig. Es geht um einen eigenwilligen Einzelgänger, der in der Hauptstadt im Untergrund abtaucht und um das düstere Berlin von einem, der mit 30 noch immer nirgends angekommen ist. Der Schauplatz: Friedrichshain in der Nachwendezeit. Aber zwischen den Zeilen werden sich viele wiedererkennen, die das Erwachsenwerden nicht einfach nebenbei wegstecken.
In Plüschgewittern
Sybil Volks: Torstraße 1
In diesem Roman geht es, ganz typisch, um die Dramen des Lebens, um Liebe und besonders um Freundschaft. Aber vor allem geht es um ein Stück Architektur: um das Haus in der Torstraße 1. Es war schon jüdisches Kaufhaus, Zentrale der Hitlerjugend, Institut der SED und wir kennen es heute als luxuriösen Club Soho House. Fast 100 Jahre der deutschen, insbesondere der Berliner, Geschichte erzählt Sybil Volks anhand dieses Hauses und zweier Menschen, deren Schicksal mit ihm verbunden ist. Eine schöne Familiengeschichte aus der Hauptstadt, erzählt aus der Perspektive von mehreren Generationen.
Torstraße 1, dtv Verlag, Taschenbuch: 9,95 Euro
Kevin Junk – Berliner Befindlichkeiten
Mal was anderes: Kevin Junk schreibt keine Liebesgeschichte, sondern beschreibt in vielen kleinen Anekdoten eine besondere Berliner Subkultur. Er gibt Einblick in das Leben der Feierwütigen, derjenigen, die mit Glitzer im Gesicht auf dem 1. Mai tanzen, die ungeniert über Drogen reden und sich in den Darkroom trauen. Außerdem kennt er sich in Berlins Schwulenszene bestens aus. Die Eindrücke aus dem Berghain und dem Berliner Alltag kommen im Blogger-Sprech daher. Denen, die Teil desselben Mikrokosmos sind, hält Junk den Spiegel vor. Alle anderen bekommen einen ungeschönten Eindruck.
Berliner Befindlichkeiten. Geschichten aus der Stadt