Im letzten Jahr galt ein Geflüchteter schon fast als gesellschaftliches Must-Have. Wer es sich nicht leisten konnte oder wollte, einen Geflüchteten bei sich aufzunehmen, zeigte zumindest auf allen Social-Media-Kanälen sein Engagement. Jede Kleiderspende wurde bejubelt, jeder Handschlag als Heldentat gefeiert. Und auch wenn es nicht ganz den Bescheidenheit-ist-eine-Tugend-Maßstäben einer Mutter Teresa entsprach, war es gut so, wie es war. Es wurde geholfen – angesichts der 1,1 Millionen Geflüchteten in Deutschland die Hauptsache. Dem Rausch folgte die Ernüchterung, denn am Ende des Tages war und ist auch die ehrenamtliche Tätigkeit Arbeit.
Kleine Initiativen spüren den Rückgang besonders
Vor allen Dingen die kleineren Initiativen, die 2015 spontan gegründet wurden, um die Hilfe für die Geflüchteten in Strukturen zu lenken, spüren den Rückgang freiwilliger Helfer. „Es wäre wirklich wünschenswert, wenn sich wieder mehr Leute engagieren würden“, erklärt Katja Lehmann von Kreuzberg hilft. Die Ehrenamtlichen kümmern sich um die Notunterkunft in der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule. „Zum Glück sind wir kein Unternehmen, das ein bestimmtes Pensum erfüllen muss.“ Das bedeutet: Angeboten wird nur, was realisierbar ist – in dem Fall wenige Sport- und Sprachkurse oder Ausflüge und Aktionen.
Ähnlich ist es bei GermanNow!, die über 1000 Freiwillige als Deutschlehrer in Notunterkünften organisieren. „Die Gründung von GermanNow! im Herbst 2015 war ein Selbstläufer“, erzählt Kay Wishöth, pädagogischer Leiter des Projekts. „Heute ist das Engagement leider rückläufig.“ Die Hälfte der Unterrichtenden bestehe zudem aus Studenten, in den Semesterferien sind die Kurse entsprechend schwer aufrechtzuerhalten. Verdenken kann man es den Studenten nicht, dass sie sich die Auszeit nehmen, immerhin investieren sie den Rest des Jahres viel in die freiwillige Arbeit.
Die Zuverlässigkeit der Partner lässt zu wünschen übrig
Richtiger Frust kommt bei den Initiativen auf, wenn man zu wenig Unterstützung von Partnern erfährt: sei es von den Trägern der Notunterkünfte, vom Staat oder dem Land Berlin. Vergessene Ankündigungen für Deutschkurse sind auf ihre Art genauso ärgerlich wie Gelder, die nur an die „offiziellen“ Organisationen verteilt werden. Ende September kündigte die Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales an, dass sich nun auch „kleine Projekte und Initiativen“ um bis zu 10.000 Euro bewerben können – „bis die Mittel erschöpft sind“. Ein kleiner Lichtblick. Ebenso die Maßnahmen gegen menschenunwürdige Flüchtlingspolitik. Der Flüchtlingsrat Berlin hat gerade einen mehrseitigen Katalog mit Forderungen verfasst u.a. nach besseren Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten, fairen Asylverfahren, Möglichkeiten zur Selbstversorgung und vor allen Dingen Wohnungen statt Lager.
„Die meisten Geflüchteten haben nach drei Monaten einen Anspruch auf einen angemessenen Wohnplatz, doch so wie es aussieht, werden die Notunterkünfte noch mindestens zwei Jahre als Unterbringung dienen müssen. Berlin baut zu langsam Einrichtungen, in denen Geflüchtete auf Dauer leben können“, weiß auch Matthias Nowak zu berichten, Projektleiter Flüchtlingshilfe Berlin des Malteser Hilfsdienst.
Über einen Mangel an Ehrenamtlichen hingegen kann Matthias Nowak nicht klagen. Vielleicht liegt es daran, dass die grundlegende Arbeit in den beiden Berliner Notunterkünften der Malteser von hauptamtlichen Mitarbeitern gestemmt wird, und die Ehrenamtlichen mit Patenschaften betraut werden, die eine verbindliche Art von Verantwortung einfordern. „Die Ehrenamtlichen kümmern sich jeweils um eine Familie, mit der sie ein bis zweimal die Woche etwas unternehmen. Durch diesen sehr persönlichen Kontakt wird den Geflüchteten die Integration erleichtert“, so Matthias Nowak.
Bis die Integrationsarbeit in ein selbständiges Leben führt, scheint es noch ein langer Weg zu sein. Und auch wenn die Ankunftszahlen in diesem Jahr rückläufig sind, (was natürlich nicht zuletzt an dem Abkommen mit der Türkei, der Schließung der Balkanroute und der vielfachen Abschiebeverfahren liegt) ist die Not der Geflüchteten noch nicht überwunden. Mehr als 48.000 von ihnen sind in Berlin. Sie brauchen keine Partystimmung und Willkommensfähnchen, sondern Unterstützung, um hier der Flucht ein Ende setzen zu können. Wir nähern uns der Weihnachtszeit und vielleicht nimmt der eine oder andere das zum Anlass, sein Karma-Konto aufzufüllen: Helfen macht glücklich!
Für spontane Helfer: www.volunteer-planner.org
Für langfristig Engagierte: www.kreuzberg-hilft.com, www.germannow.de