Die Wände sind bunt und beschrieben, der Gang wirkt schier endlos und die jungen Menschen dort sehen etwas verloren aus – in diesem Durcheinander treffen wir Zuschauer auf Alex aus Luckenwalde, der an seiner Zimmerwand die Musikgrößen des Clubs 27 hängen hat. Der 24-jährige war bereits an mehr als zehn Schulen, die er teilweise wegen Mobbings wieder verließ. Mit Disziplinzwang und Konkurrenz kam er nicht klar, eine Kochausbildung brach er ab und zeitweise war er sogar obdachlos. Jetzt will Alex es nochmal wissen. Florian (25) hat zwar einen anderen Lebenslauf, aber auch er schaffte keinen Abschluss. Grund waren seine Probleme mit Autoritäten. Sein ambitioniertes Ziel jetzt: mindestens einen 1,5-Abiturdurchschnitt.
Nichts für Hänger
Gemeinsam mit Mimy (21) aus Berlin, Lena (21) aus Eggesin, Marvin (24) aus Bremerhaven und Hanil (23) aus Aachen versuchen die beiden Jungs frühere Lerndebakel zu überwinden und dafür haben sie sich die Schule für Erwachsenenbildung (SFE) in der Gneisenaustraße ausgesucht. Auf der Hauswand prangt 08/15 – das trifft auf diese Schule definitiv nicht zu. Hier lauten die Regeln: Kein Direktor, keine Noten, kein Sitzenbleiben. Was erstmal nach einem Paradies für Hänger und Chiller klingt, entpuppt sich schnell als Schmiede für Eigenverantwortung.
Schon seit 1973 besteht die etwas andere Lehranstalt, in der SchülerInnen sich auch mal mehr Schulgeld auferlegen und ihre Lehrkräfte selbst bezahlen. Denn in dem basisdemokratischen Projekt sind es die SchülerInnen, die gemeinsam über organisatorische Fragen abstimmen. Damit können sie an einem Tag Organisator und am nächsten Tag sogar Lehrer in Vertretung sein. Genauso können aber auch sie schuld draran sein, wenn zu wenig Stoff durchgenommen wird.
Der Filmemacher Alexander Kleider (Im Schatten des Tafelberges) nimmt uns dorthin mit, wo er selbst 2000 sein Abitur gemacht hat. „Vom Brüssler Star-Anwalt bis zum erfolgreichen Mediziner – Tausende durchliefen eine Schule, in der es nicht um Zensuren, sondern um die Neugier auf das Leben ging. Sie alle profitierten von einem Umfeld, das Lernen nicht als Zwang, sondern als Chance definiert“, wird Kleider zitiert.
Das Gehirn braucht frische Luft
Einer der Chancengeber ist Deutschlehrer Klaus Trappmann (65), der bereits 2500 SchülerInnen zum Abitur geführt hat. Schnell wird deutlich, dass er, wie andere Lehrkräfte hier auch, das Vertrauen zwischen Schülern, Mitschülern und Lehrern über den Erfolg stellt. Dabei diskutiert Klaus natürlich auch mal über Bertolt Brecht und zwar gern abseits der Klassenräume in einer Gartenlaube. Sein Tipp: „Frische Luft für einen frischen Verstand!“ Er beruhigt genauso selbstverständlich Nerven vor Prüfungen und versucht auf die Stärken und Schwächen eines jeden einzugehen.
Fazit: Drei Phasen durchläuft jeder Schüler während seiner Zeit in der SFE, erzählt Beate, die im Schulbüro arbeitet. Begeisterung, Ernüchterung und produktive Panik. Diesen Phasen folgt der Regisseur in der Doku und stellt dar, wie Unangepasste, Andersdenker und Missverstandene ihren Weg bis zum Abitur gehen. Dabei wird gezeigt, dass das Konzept des Selberorganisierens nicht jedem liegt und Schüler sich immer wieder untereinander motivieren und regulieren müssen.
Schüler, die in herkömmlichen Schulsystemen gescheitert sind, sei es aus eigener Faulheit, wegen Verstößen oder widrigen Umständen, legen in der Berlin Rebel High School selbst das ihnen auferlegte Label ab. Ihr Glaube an sich wächst wieder. Gerade diese Entwicklung ist ein interessanter Beitrag, vor allem im Hinblick auf die laufenden Diskussionen rund um das hauptsächlich auf Leistung ausgelegte Schul- und Unisystem. Aber auch sonst macht die Doku Spaß: Denn zwischen Tomatenmark-Brötchen, Wolfgang Petri-Frisur und Spucke auf dem Schulhof liegt manchmal ein ganzes Schul-Leben.
Berlin Rebel High School läuft unter anderem im Filmtheater am Friedrichshain und Kino International in Mitte.