Zugezogen, waschecht oder Wossi – jeder hat seine ganze eigene Berlingeschichte. Zum 3. Oktober 2015 schreiben vier QIEZ-Redakteurinnen, was das historische Datum nach 25 Jahren für sie bedeutet.
Maria (33), Wossi mit ausgeprägter Umzugserfahrung durch Stationen in Kaulsdorf, Schöneberg, Wilmersdorf, Mitte und dem Bergmannkiez:
„Als die Wende kam, war ich als siebenjähriges Mädchen aus Ostberlin von drei Dingen furchtbar fasziniert: Fertigwaffeln, der Spielzeugabteilung bei Karstadt und weichem Klopapier. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt und freue mich, was für eine Entwicklung meine Heimatstadt hingelegt hat. Keine Intershops und Konsums mehr, auch keinen Palast der Republik, dafür kulturelle Vielfalt und Multikulti-Präsenz in 300 Kiezen, um die uns viele beneiden. Ob es um den besten Club der Welt geht oder ein Herz für Flüchtlinge – die Welt schaut auf uns. Und auch wenn viele (noch) nicht unbedingt stolz darauf sind deutsch zu sein, sind wir ganz bestimmt stolze Berliner. Die hoffentlich irgendwann niemand mehr fragt, ob sie aus Ost- oder West-Berlin kommen, weil es das seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr gibt.“
Evi (28), nach der Wende zugezogener „Wessi“ in Meckpomm, in der Pubertät zugezogener „Ossi“ in Niederbayern:
Susanna (39), waschechter Ossi, seit 14 Jahren Berlinerin in einer Ost-Westbeziehung
„Meine Kindheit habe ich in einer Kleinstadt in Sachsen-Anhalt verbracht, mit allem, was damals dazu gehörte: Pionierhalstuch, Schlange stehen für ein Bund Bananen und Westpakete, die nach Weichspüler dufteten. Berlin war für mich damals genauso weit weg und „westlich“, wie Stuttgart, wo unsere Verwandschaft wohnte. Man hörte immer nur, dass die Menschen dort alles hätten und wenn meine Eltern von einem Besuch aus der Hauptstadt zurückkehrten, hatten sie immer etwas Tolles im Gepäck, was es bei uns in der Provinz nicht gab. Trotzdem wollte ich nach der Wende meine Heimat nicht verlassen und blieb dem Osten bis zum Ende meines Studiums treu. Und bin es eigentlich auch heute noch, schließlich liegt Berlin im Osten der Republik. Gelandet bin ich hier 2001 und bis vor drei Jahren war Friedrichshain mein Zuhause, was aber eher Zufall als Absicht war. Genauso wohl hätte ich mich sicher auch in Charlottenburg oder Kreuzberg gefühlt. Eine große Diskrepanz zwischen Ossis und Wessis habe ich bisher selten verspürt. Zum einen, weil mein Freundes- und Kollegenkreis von Anbeginn aus Düsseldorfern, Münchenern und Leipzigern bestand und zum anderen ich das Glück hatte, mit offenen Armen von einer Westberliner Familie aufgenommen worden zu sein. Meine Schwiegermama kommt ursprünglich aus Schwaben, deren Dialekt dem Sächsischen sehr ähnlich ist. Wir lieben es, uns gemeinsam in Mundart zu unterhalten. Mittlerweile leben wir mit Kind in Frohnau, westlicher gehts wohl kaum und ich fühle mich eher als Berliner, als Ossi. Worüber ich dieser Tage auch nicht sonderlich traurig bin, denn was in Städten wie Heidenau passiert, treibt mir als Ossi die Schamesröte ins Gesicht.“
Julia (27), Ossi, ist in Berlins Westen immer nur zu Besuch und in Treptow, Köpenick und Friedrichshain zu Hause