25 Jahre Wiedervereinigung

Es wächst zusammen

Stimmt nicht ganz. Aber immerhin ist die "Deutsche Demokratische Republik" seit 25 Jahren Geschichte.
Stimmt nicht ganz. Aber immerhin ist die "Deutsche Demokratische Republik" seit 25 Jahren Geschichte.
Drei Währungen, eine Bevölkerung, die sich zur Hälfte ausgetauscht hat, und eine Mauer, die schon lange aus dem Stadtbild, aber nicht immer aus den Köpfen verschwunden ist. Die deutsche Wiedervereinigung jährt sich heute zum 25. Mal und die QIEZ-Redaktion zieht ihr ganz persönliches Resümee.

Zugezogen, waschecht oder Wossi – jeder hat seine ganze eigene Berlingeschichte. Zum 3. Oktober 2015 schreiben vier QIEZ-Redakteurinnen, was das historische Datum nach 25 Jahren für sie bedeutet.

Maria (33), Wossi mit ausgeprägter Umzugserfahrung durch Stationen in Kaulsdorf, Schöneberg, Wilmersdorf, Mitte und dem Bergmannkiez:

„Als die Wende kam, war ich als siebenjähriges Mädchen aus Ostberlin von drei Dingen furchtbar fasziniert: Fertigwaffeln, der Spielzeugabteilung bei Karstadt und weichem Klopapier. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt und freue mich, was für eine Entwicklung meine Heimatstadt hingelegt hat. Keine Intershops und Konsums mehr, auch keinen Palast der Republik, dafür kulturelle Vielfalt und Multikulti-Präsenz in 300 Kiezen, um die uns viele beneiden. Ob es um den besten Club der Welt geht oder ein Herz für Flüchtlinge – die Welt schaut auf uns. Und auch wenn viele (noch) nicht unbedingt stolz darauf sind deutsch zu sein, sind wir ganz bestimmt stolze Berliner. Die hoffentlich irgendwann niemand mehr fragt, ob sie aus Ost- oder West-Berlin kommen, weil es das seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr gibt.“


Evi (28), nach der Wende zugezogener „Wessi“ in Meckpomm, in der Pubertät zugezogener „Ossi“ in Niederbayern:

„Ich bin 2006 gleich nach dem Abi nach Berlin gekommen. Und war damals wahnsinnig froh, endlich in einer Stadt anzukommen, in der die Vorurteile, mit denen ich seit meiner Kindheit in Ost und West immer wieder konfrontiert wurde, kein Gewicht mehr zu haben schienen. Endlich keine Sprüche mehr wie „Die Wessis mit ihren dicken Autos wissen doch immer alles besser!“, „Vor der Wiedervereinigung was vieles besser!“ oder „Die Ossis haben doch so viel Geld in den Hintern geschoben bekommen, die sollen sich mal nicht beschweren!“. Seit ich im Alter von vier Jahren mit meiner Familie ins ehemalige Ostdeutschland gezogen war, musste ich mir diese Sprüche auf beiden Seiten der ehemaligen Grenze so oft anhören, dass ich die Nase gestrichen voll hatte von allen Ost-West-Klischees. Und was soll ich sagen: natürlich wurde in Berlin vieles besser. Schließlich hat sich gerade meine Generation perfekt in der wiedervereinten Stadt eingelebt. Aber auch hier ist nicht alles Gold was glänzt. Irgendwie muss man immer noch erklären, warum man sich für den Westen oder den Osten als Lebensmittelpunkt entschieden hat. Und gerade für viele Alteingesessene ist ein Ausflug in den „anderen Teil“ der Stadt noch immer die Ausnahme. Und ja: West- und Ost-Berlin haben sich einen ganz eigenen Charakter bewahrt. Nicht zuletzt wegen der Menschen, die hier leben. Vielleicht zeigt Berlin also im Kleinen, was für ganz Deutschland im Großen gilt: Wir gehören zusammen, sind aber nicht austauschbar. Ein halbes Jahrhundert geteiltes Deutschland hat tiefe Spuren hinterlassen.“


Susanna (39), waschechter Ossi, seit 14 Jahren Berlinerin in einer Ost-Westbeziehung

„Meine Kindheit habe ich in einer Kleinstadt in Sachsen-Anhalt verbracht, mit allem, was damals dazu gehörte: Pionierhalstuch, Schlange stehen für ein Bund Bananen und Westpakete, die nach Weichspüler dufteten. Berlin war für mich damals genauso weit weg und „westlich“, wie Stuttgart, wo unsere Verwandschaft wohnte. Man hörte immer nur, dass die Menschen dort alles hätten und wenn meine Eltern von einem Besuch aus der Hauptstadt zurückkehrten, hatten sie immer etwas Tolles im Gepäck, was es bei uns in der Provinz nicht gab. Trotzdem wollte ich nach der Wende meine Heimat nicht verlassen und blieb dem Osten bis zum Ende meines Studiums treu. Und bin es eigentlich auch heute noch, schließlich liegt Berlin im Osten der Republik. Gelandet bin ich hier 2001 und bis vor drei Jahren war Friedrichshain mein Zuhause, was aber eher Zufall als Absicht war. Genauso wohl hätte ich mich sicher auch in Charlottenburg oder Kreuzberg gefühlt. Eine große Diskrepanz zwischen Ossis und Wessis habe ich bisher selten verspürt. Zum einen, weil mein Freundes- und Kollegenkreis von Anbeginn aus Düsseldorfern, Münchenern und Leipzigern bestand und zum anderen ich das Glück hatte, mit offenen Armen von einer Westberliner Familie aufgenommen worden zu sein. Meine Schwiegermama kommt ursprünglich aus Schwaben, deren Dialekt dem Sächsischen sehr ähnlich ist. Wir lieben es, uns gemeinsam in Mundart zu unterhalten. Mittlerweile leben wir mit Kind in Frohnau, westlicher gehts wohl kaum und ich fühle mich eher als Berliner, als Ossi. Worüber ich dieser Tage auch nicht sonderlich traurig bin, denn was in Städten wie Heidenau passiert, treibt mir als Ossi die Schamesröte ins Gesicht.“

Julia (27), Ossi, ist in Berlins Westen immer nur zu Besuch und in Treptow, Köpenick und Friedrichshain zu Hause

„Ich halte mich für zu jung, um in Ost-West-Klischees zu denken, sehe ganz selbstverständlich das gesamte Berlin als meine Heimatstadt an und bin glücklich darüber. Mir ist aber auch klar: Ich bin ein Ostkind. Nicht nur, weil meine Mama das immer gesagt hat: („Die Julia ist auch so’n richtiges Ostkind. Die wollte immer nur Äpfel statt Südfrüchte.“) und weil ich meine ersten beiden Lebensjahre in der DDR verbracht habe. Sondern auch, weil meine ganze Familie in der DDR gelebt hat, in Erzählungen von „früher“ automatisch die geteilte Stadt mitschwingt und weil meine Heimatkieze architektonisch und demografisch vom ehemaligen Osten geprägt sind. Natürlich hat das meine Sozialisation beeinflusst. Und das gilt andersrum sicher auch für Gleichaltrige „aus dem Westen“. Das heißt noch lange nicht, dass die Frage nach Ost oder West eine Rolle spielen müsste, wenn man andere (Wahl-)Berliner kennenlernt. Tut es aber trotzdem oft. Na und? Das geteilte Deutschland ist eben Teil unserer Biografie. Das halte ich nicht für eine Mauer im Kopf, sondern für vollkommen in Ordnung – solange es keinen Einfluss darauf hat, was ich von meinem Gegenüber denke.“

Brandenburger Tor, Pariser Platz, 10117 Berlin

Das Brandenburger Tor wird alljährlich anlässlich des Festivals of Lights farbenfroh illuminiert.

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