Der Späti deines Vertrauens ist immer für dich da: mit Rat und Tat, mit Saft zum Frühstück, mit Snacks am Abend, mit Sekt in der Nacht und Heringen für das bittere Erwachen nach dem Rausch. Nun geht es dem Berliner Kulturgut an den Kragen – weil er sich auch bei Touristen und Studenten zu großer Beliebtheit erfreut. Menschentrauben vor den Spätis in Bestlage gehören am Wochenende zum normalen Straßenbild und auch spontane Partys vor den weit geöffneten Türen sind bei gutem Wetter keine Seltenheit. Mittes Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel meint, dass das Gewohnheitsrecht der Spätis, auch am Sonntag zu öffnen und selbst zu den unmöglichsten Zeiten Menschen mit günstigem Alkohol zu beglücken, gar keines sei. Er fordert, dass das Ladenöffnungsgesetz auch für die kleinen und größeren Kioske gelten müsse.
Ladenschluss
Ausgerechnet dieses Gesetz besagt aber, dass Verkaufsstellen, die den Bedarf von Touristen abdecken, auch sonntags aufmachen dürfen. Natürlich lässt sich darüber streiten, ob es für einen Touri wichtiger ist, einen Stadtplan zu kaufen oder ein echtes Berliner Bier, aber für eine wissenschaftliche Untersuchung scheint keine Zeit mehr zu sein. Von Dassel, der schon mit Dixi-Klos gegen Verunreinigungen rund um den Kurfürstenstrich Aktivismus bewies, will nun vermehrt Ordnungsämter für die Kontrollen (rebellischer) Späti-Betreiber einsetzen. Damit löst der Grünen-Politiker vielleicht nicht die Probleme, die betrunkene Touris in Mitte verursachen, aber ein ganz anderes: Durch den enormen Personalbedarf der Ämter dürfte es bald keine Arbeitslosen mehr in der Stadt geben. Gleich an mehreren Fronten setzt von Dassel sich für Ordnungsamt-Sonderschichten und Personalaufstockungen ein, um Gehwege von illegalem Müll zu befreien, Beutel-ignorante Hundebesitzer zur Kasse zu bitten und den bereits erwähnten Straßenstrich rund um die Uhr zu betreuen. Für die Kontrollen und Sanktionen der Spätis müssen also wieder ein paar Menschen in Ordnungsamt-Uniformen gesteckt werden.
Fragen über Fragen
Zurück zu den Spätis: Warum werden denn nicht die Touris und die zu lauten Straßenpartyvölker mit Bußgeldern versehen, wenn sie Gehwege blockieren, mit leeren Flaschen den Verkehr aufhalten oder laut grölend durch die Straßen ziehen? Und wenn die Spätis gemaßregelt werden, muss man dann nicht auch wieder die Supermärkte um 20 Uhr schließen lassen und Tankstellen alkoholisches Verkaufsverbot auferlegen? Wieso sollen die Spätis für das Verhalten ihrer Kunden abgestraft werden? Spielzeugläden sind auch nicht für die schreienden Kinder vor den Schaufenstern verantwortlich, die hysterisch gegen ihre Eltern protestieren, weil die nicht das gewünschte Produkt kaufen…
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Spätis sind Kieztreffs
Als Berlin noch nicht zu den beliebtesten Reisezielen der Welt zählte, interessierte es zumindest niemanden, dass der Späti an der Ecke zahlreiche Geburtstagsfeiern mit Bier-Nachschub rettete und man beim Kippenholen am ruhigen Sonntag endlich den neuesten Klatsch aus der Nachbarschaft erzählt bekam. Spätis sind keine anonymen Verkaufsstellen, sie sind oft das Herz des Kiezes und ihr Angebot hält genau das bereit, was die Nachbarschaft braucht. Das auflagenarme Rätselheft für Frau Meier, die Schweizer Zigaretten für Herrn Hefti und jede Menge bunte Nicht-Bio-Weingummis für die Kids. Und nur hier kann man sicher sein, dass das Wissen über dich und deine Gewohnheiten niemals gegen dich verwendet wird. Ein guter Späti-Betreiber weiß, was du magst, wen du kennst, wie es dir geht und auch wenn er den Grund deines Kummers nur ahnt, ein aufmunterndes Wird-schon ist immer drin. Das ist erhaltenswert – um jeden Preis!
Sonntagsöffnung muss sein
Man braucht ja nicht Adam Riese zu sein, um zu ahnen, dass die Sonntage lukrative Geschäftstage für die Spätis sind. Die Supermärkte haben zu, das Angebot in den Tankstellen ist zu unpersönlich, und so kaufen Hinz und Kunz sonntags hier, was sie für einen gelungenen freien Tag schnell noch brauchen. Gerade das stößt den Politiker*innen auf, es kann ja nicht angehen, dass die Spätis sich konkurrenzlos die Taschen voll machen, während die steuereinbringende Läden der Großkonzerne dicht bleiben müssen. Nein? Natürlich geht es dem Senat nur um das Wohl der Bürger – niemals ums Geld. Bei den Spätis allerdings schon, denn gerade den kleineren Läden, die nicht auf einer Tourimeile liegen, sichert der Sonntag das Grundeinkommen. Für nicht wenige würde die Sonntagsschließung zielstrebig in die Insolvenz führen.
Von wegen Anarchie
Kein Berliner will im Chaos versinken und ganz ohne Regeln und Gesetze geht es selbst in der freiheitsliebenden Hauptstadt nicht. Aber es ist nicht immer klug, das Leben an die Gesetze anzupassen, manchmal ist es auch an der Zeit, Regeln zu ändern, um Berlins Besonderheiten zu erhalten. Übrigens kann es auch nicht angehen, dass die ruhebedürftigen Menschen immer an die Hotspots ziehen, um dann als Anwohner genau dort den Stecker zu ziehen. Zum Glück gibt es auch Politiker wie Anja Kofbinger, die eine Spätikonferenz einberufen will, um die Spätis nicht wegzukontrollieren. Unsere Hoffnung stirbt zuletzt, bis dahin geben wir Frau Kofbinger Rückenwind und raten allen Späti-Betreibern, Stadtpläne, Reiseführer und Fotobedarf ins Sortiment zu nehmen, um unter die Ausnahmeregelung für touristischen Bedarf zu fallen.