Der Kirchenraum bleibt an diesem Sonntag leer. Die Petrusgemeinde in Stresow lädt heute zum „Abendmahlsgottesdienst am Runden Tisch“. Ein gutes Dutzend Frauen und Männer versammeln sich um den Holztisch im Foyer, der mit Gesangbüchern, Kerzen, einem Teller mit Fladenbrot und einem Tablett mit Tonbechern gedeckt ist. Das ist eine Tradition aus den 1960er Jahren, als ein Pfarrer nicht mehr warten wollte, bis die Spandauer den Weg in die Kirche finden. Er richtete in einer Bäckerei am Brunsbütteler Damm eine Ladenkirche ein. Den Talar ließ er zuhause, um den Leuten die Scheu vor Pfarrern zu nehmen, und alle machten beim Gottesdienst mit.
Ein Betrunkener betritt die Kirche
Der neue Gast nickt bald ein, die anderen singen kräftig mit. Dann wird die Bibel ausgelegt. Pfarrer Kluge erläutert den Hintergrund des Briefes, den Apostel Paulus vor 2000 Jahren an die Gemeinden in Galata geschrieben haben soll. Die christliche Gemeinschaft war jung, über vieles war man sich noch nicht einig, zum Bespiel darüber, wie viele jüdische Gesetze man übernehmen sollte und ob sich auch Christen beschneiden lassen sollten. Paulus wollte vom Beschneiden nichts wissen. Der Glaube an Jesus Christus alleine bringe Gnade und Gerechtigkeit, was brauche es da noch Gesetze, schärfte er den Christen ein. Sind Gesetze und Dogmen hinderlich für den Glauben?, fragt Pfarrer Kluge in die Runde. Kann man sich die Gnade Gottes erarbeiten durch besondere Gesetzestreue? Es entspinnt sich eine rege Debatte, die auch die aktuelle politische Diskussion über Landesverrat streift. Alle sind sich einig: Gesetze, auch die Glaubensdogmen müssen dem Leben dienen und immer wieder den Lebensgewohnheiten angepasst werden. Aber wo sind die Grenzen der Anpassung?