Irgendwo im Wedding, dritter Hinterhof, ganz rechts hinten. Hier soll es stattfinden, das Superworkout bei Ghost Yoga. Meine Freundin ist zu spät, ich stehe genervt in der Kälte und warte. Meine Yogamatte klemmt unter meinem Arm, mir ist kalt und ich trete von einem Bein auf das andere. Ich hoffe sehr, dass ich gleich entspannen kann. Anderthalb Stunden Yoga am Abend – nach einem langen Arbeitstag klingt das eher nach Herausforderung. Um 19.15 Uhr beginnt der „Pure Bliss Flow Yoga Kurs“ bei Natalia.
Wer nicht weiß, dass sich auf diesem Fabrikgelände hier in der Gerichtstrasse ein Yogastudio befindet, würde nie darauf kommen. Lediglich ein kleines, fast verstecktes Schildchen mit dem Wort „Ghost“ weist mich darauf hin, dass ich da bin, wo ich hinwill. Laufkundschaft gibt es hier ganz sicher nicht. Das komplett mit Graffiti vollgeschmierte Gelände und das schmutzige, dunkle Treppenhaus üben eine große Anziehung auf mich auf. Ich habe das Gefühl, im Berlin der späten Siebziger unterwegs zu sein und erwarte hinter jeder Ecke den Geist von David Bowie zu treffen. Er hätte sich hier sicher sehr wohl gefühlt. So einen urbanen, authentischen Charme habe ich in Berlin lange nicht erlebt. Vieles ist gewollt, sicher auch gekonnt, aber der Duft, der Anfang der achtziger Jahre durch die Straßen gezogen ist – hier ist er echt.
Yoga-Workout oder Kamasutra-Kurs?
Meine Freundin und ich stolpern hastig in den zweiten Stock und werden vor der unscheinbaren aber schweren Stahltür ins Yoga-Glück von einem kleinen, struppigen Hund begrüßt. Ich will ihn sofort streicheln, aber erinnere mich, dass auf der Internetseite von Ghost Yoga steht, dass man das vielleicht lieber lassen sollte. Der Hund sei bissig. Der Korridor ins Studio ist dunkel, staubig und genauso runtergekommen wie der Rest des Hauses und des Geländes. Wir betreten ein großes Loft, und weil wir zu spät sind, sitzen alle schon auf ihren Matten und sind ganz „ommm“. Etwa zwanzig Teilnehmer zähle ich, es riecht nach einer Mischung aus Tee, Räucherstäbchen und Füßen. Natalia kommt lächelnd auf uns zu, sie ist sehr hübsch und sieht ein bisschen aus wie Zooey Deschanel aus der Serie New Girl. Zumindest glaube ich das, denn der Raum ist so dunkel, dass ich kaum etwas erkennen kann. Lediglich ein paar Kerzen flackern auf einer Bar, auf der auch Tee steht, ansonsten gibt es eine kleine Lampe, die weiches, rotes Licht in den Raum wirft. So stelle ich mir das Setting für einen Kamasutra-Kurs vor!
Die Energie ist sehr angenehm, tatsächlich entspanne ich schon ein bisschen, bevor es losgeht. Wir sollen uns einfach irgendwo einen Platz suchen und unsere Matten ausrollen. Meine Tasche und meine Schuhe lasse ich einfach fallen, hier scheint es jeder so zu machen, wie er möchte. Darauf legen die Betreiber des Studios auch viel Wert. Keiner muss, jeder kann. Und wenn ein Teilnehmer einfach nur dreißig Minuten in der „Haltung des Kindes“ bleiben möchte oder auch nur einen Tee trinken will, ist das absolut okay. Dafür wären mir meine 10 Euro Eintritt dann vielleicht doch zu viel, aber für anderthalb Stunden Yoga ist das ein absolut fairer, wenn nicht sogar fast untertriebener Preis.
Natalia spricht englisch mit der Gruppe, was für mich etwas schwierig zu verstehen ist. Ich bin nicht sehr yogaerfahren, ich bin schon froh, dass ich den heraufschauenden Hund und die Babycobra kenne und ausführen kann. Ich schaue also mehr auf das Mädel vor mir als mich auf mich selbst zu konzentrieren. Bei ihr sehen die Bewegungen und schön und fließend aus, ich falle mindestens fünf Mal beim Halbmond um. Linke Hand und linker Fuß bleiben am Boden, der Rest wird um 90 Grad nach Außen gedreht. Dass alle anderen es schaffen, soll mich nicht stören, ich soll ja nicht bewerten. Ich ärgere mich trotzdem, dass ich es nicht kann. Zudem habe ich mir den schlechtesten Platz ausgesucht für meine Übungen, ich liege direkt an der Tür, es ist kalt und es zieht. Bei der Schlußentspannung legt Natalia eine Decke über mich und ich frage mich, wie die anderen es schaffen, nicht einzuschlafen. Die Stille, die Dunkelheit, die Atmosphäre, das tut schon wirklich sehr gut nach einem langen und ereignisreichen Tag. Und das Umfallen und die Plackerei mit den für mich wirklich herausfordernden Übungen haben mich zusätzlich müde gemacht.
Als es vorbei ist, springe ich schnell in meine Turnschuhe und jage die Treppen hinunter, um mein Taxi zu bekommen, das mich zu einer Verabredung bringen soll, zu der ich schon zu spät bin. Das ist natürlich nicht die Yoga-Philosophie. Ich hätte gerne mit den anderen Teilnehmern noch einen Tee getrunken und ein bisschen gequatscht. Aber immerhin habe ich mir vorher 90 Minuten Zeit für mich genommen. Ein Geschenk, das wir uns viel öfter gönnen sollten.
Ich werde mir sicher mehr Zeit nehmen beim nächsten Mal. Kurse finden dienstags bis freitags um 10 Uhr statt, sonntags bis mittwochs um 18.30 Uhr und donnerstags um 19.15 Uhr. Anmeldungen sind nicht erforderlich.