Berliner Persönlichkeiten zeigen ihren Kiez

Stephan Pramme: "Kein Wildwuchs im Prenzl' Berg"

Seit 1999 ist Pramme im Bötzowviertel zu Hause.
Seit 1999 ist Pramme im Bötzowviertel zu Hause.
Der Fotograf ist schon fast so etwas wie ein Phänomen in der Gesellschaft des Prenzlauer Bergs. Schließlich gehört er zur selten gewordenen Spezies der "Ur-Einwohner" des Bezirks. Was sich aus seiner Sicht alles im Lauf der Jahrzehnte verändert hat und wo es sich trotzdem hinzugehen lohnt, darüber hat Pramme mit QIEZ im Café Anna Blume gesprochen.

 „Prenzlauer Berg ist wie ein Biotop, das trockengelegt wurde oder wie ein begradigter Fluss“, findet Stephan Pramme. „Mir fehlen alte Damen, der Bezirk ist zu homogen geworden, auch in der Altersstruktur. Es gibt keine Kiezgrößen, keine Unikate mehr. Es fehlt einfach der Wildwuchs!“ Dass sich der Fotograf dann ausgerechnet bei Anna Blume treffen will, erstaunt zunächst. „Ich mag dieses Café – aber nicht zu den Stoßzeiten“, erklärt er denn auch gleich. „Weil hier so eine gemütliche Kaffeehaus-Stimmung herrscht. Ich suche mir auch oft Reibungsfläche im Kiez. Mit dem Publikum im Anna Blume habe ich sonst nichts zu tun.“

Pramme ist seit 1999 Fotograf, knipst insbesondere Porträts, Reportagen und Features. Bekannt wurde er vor allem durch das SOS-Kinderdorf-Projekt „Kindheit in Israel“, für das er die Kinder vor Ort porträtierte. Die Aufnahmen waren in einer Wanderausstellung mit Stationen in Frankfurt, Berlin, Wien und Amsterdam zu sehen.

Die schrägen Vögel sind ausgeflogen

Schon in den 70er-Jahren hat Pramme am Helmholtzplatz gewohnt. 1984 ist er in den Kollwitzkiez umgezogen und seit 1999 lebt er im Bötzowviertel. „Für mich kommen durchaus auch andere Berliner Bezirke als Wohnort in Frage, Kreuzberg zum Beispiel, aber die Mietpreise sind ja explodiert“, sagt er. „Und hier im Bötzowviertel habe ich noch meinen alten Mietvertrag und bezahle 320 Euro Kaltmiete für 52 Quadratmeter.“

Dafür nimmt er auch die drastische Veränderung seines Viertels in Kauf. „Es ist nichts mehr übrig von dem, was früher war. Es gab hier kulturelle Vielfalt, am Kollwitzplatz war bis in die 90er-Jahre die Hausbesetzer-Szene aktiv, es gab schräge Künstler, schräge Vögel. Heute berlinert ja kaum noch jemand. Früher war außerdem die Altersdurchmischung viel besser, es gab auch immer so eine Art alte Seele des Hauses“, erzählt der Fotograf nicht ohne Wehmut. „Würde ich jetzt nach Charlottenburg ziehen, würde ich mich auch fremd fühlen, aber in Prenzlauer Berg bin ich entfremdet.“

Dass das einzige Chaos, das es vielleicht noch im Kiez gibt, die Parkplatzsuche ist. Dass alles sehr unaufgeregt ist. Daran hat sich Pramme schon gewöhnt. „Der gemeinsame Nenner ist heute das Budget – man kommt nicht mehr wegen eines Kulturprogramms hierher. Sanierte Wohnungen und Fassaden, hier wird über den Geldbeutel selektiert“, bedauert er.

Inseln im Kiez

Ein bis zwei Inseln hat sich der Bezirk seiner Meinung nach aber dennoch bewahrt. Einmal das Willy Bresch in der Danziger Straße, in dem sich seit den 80er-Jahren nichts getan hat. Für den Fotografen ist genau das ein Stück Berlin, verraucht, mit gescheiterten Existenzen und ein paar Übriggebliebenen. Die andere Insel ist der Schusterjunge.

„Wen ich außerdem vermissen würde, wenn ich umziehen würde: zwei richtig gute Bäckereien“, erklärt der  36-Jährige. „Fantastische Splitterbrötchen und Schwarzbrot gibt es beim Bäcker Lau – hier wird noch selber gebacken. Und bei Kädtler auf der Danziger Straße. Der Bäcker hat sogar ein Koscher-Zertifikat, da gibt es dann freitags am Schabbat traditionelles Gebäck.“

Auf Trümmern laufen

Die Tatsache, dass das Bötzowviertel gleich am Friedrichshain liegt, nutzt der Fotograf häufig in seiner Freizeit.  Regelmäßig kommt er hierher, um einfach nur abzuhängen oder um joggen zu gehen. „Den Bunkerbogen hochzulaufen und zu wissen, dass unter dir Kriegsbauschutt liegt, du quasi über Trümmern läufst, das beflügelt meine Phantasie“, erzählt er.  „Meine Sachen schließe ich im SEZ ein. Nach dem Laufen kann ich dort auch in die Sauna gehen, dort ist es herrlich unaufgeregt.“

Und prompt fallen Pramme noch zwei weitere Nettigkeiten in seinem Kiez ein: der Espressostand Kai und der Vietnamese Mr. Long & Friends. „Den besten Kaffee gibt es bei Kai – der steht auf dem kleinen Markt in der Pasteurstraße. Witzig ist, dass der Inhaber auf ein Fahrrad seine Espressomaschine gepackt hat. Der Flat White ist einfach sehr, sehr gut“, sagt der Berliner. „Und zu der vietnamesischen Familie, der das Mr. Long gehört, habe ich eine persönliche Bindung. Meine Mama macht mit dem Jungen beispielsweise Hausaufgaben. Wir gehen für Geburtstage hin und es herrscht schon lange ein herzliches Verhältnis. Das ist für mich ausnahmsweise mal echtes Kiez-Feeling.“

Lesen Sie nächste Woche in unserer Reihe „Berliner Persönlichkeiten zeigen ihren Kiez“: Uli Borowka.

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