Kai Lüftner ist tätowiert bis auf die Knöchel und hat eine Affinität zu Vollkontakt-Sport. Früher war er Bauarbeiter, Gag-Schreiber für Cindy aus Marzahn und Türsteher. Er entspannt, wenn er veganes Gulasch kocht, schreibt Gedichte und redet viel übers Liebhaben. Passt irgendwie nicht zusammen? Da sind Kais Fans anderer Meinung. Und die sollte man ernst nehmen, auch wenn (oder gerade weil) sie kaum größer als 1,20 Meter sind.
Wir treffen den etwas anderen Kinderbuchautor zum Frühstück im Köpenicker Milchkaffee. Noch ist er etwas müde, aber der Mann hat auch eine aufregende Zeit hinter sich. Kais Bekanntheitsgrad ist seit seinem ersten Kinderbuch im Jahr 2012 („Die weltbeste Lilli“) durch die Decke gegangen. Und er ahnt warum: „Ich mach so das Normale. Ich schreibe über Außenseiterkinder, die keine Lobby mehr finden. Für alle zwischen Lillifee und Bob der Baumeister.“
Eine Konfettikanone im Köpenicker Milieu
Diese Außenseiter sind wie wir: Stühlekippler, Schnoddernasen oder Bummelletze. „Ich stelle Popel- und Furzwitze neben Mobbing, Tod oder die Trennung der Eltern. So ist das Leben halt.“ Und das erzählt Kai in seinen Büchern und dem Musikprojekt „Rotz’n’Roll“ nicht von oben herab, sondern mit Schnauze und Witz. „Viele denken ja, ich wecke meinen Sohn täglich mit der Konfettikanone. Aber das ist natürlich nicht so“, behauptet er. Schwer zu glauben, wenn man weiß, dass der stolze Papa Figuren wie die Kotzekatze Karolin, einen HubschrauBÄR und den Knatterdrachen Furzipups zusammenfantasiert. Authentische Originale wie Kai selbst.
Seine Jugend verbrachte der Berliner Junge in Köpenick und Friedrichshains besetzten Häusern. Heute sagt der selbsternannte „Kiezwurzi“, er fahre „in die Stadt“, wenn er den Südosten verlässt. Außerhalb gibt er sich erst als Köpenicker, dann erst als Berliner. „Ich habe das Gefühl, dass dieses Lokalgefühl fast nur noch hier gelebt wird“, beobachtet Kai. Außerdem biete Köpenick Freiraum, um Neues zu kreieren. Und einen Haufen Geschichte und Natur.
Weil beides für Kai magisch ist, trifft man ihn regelmäßig im Heimatmuseum Köpenick oder irgendwo auf den Wiesen zwischen dem Ernst-Grube-Park und der Schlossinsel. Auf der erzählt der gelernte Sozialarbeiter von Jacza Burgherr und Fürst von Copnic, der hier im 12. Jahrhundert erste Münzen geprägt haben soll. Eine von ihnen zu finden, das wär’s für den Hobby-Schatzsucher, der oft mit einem Metalldetektor auf die Pirsch geht. Und das ist nur ein außergewöhnliches Hobby des Herrn Lüftner. Das andere sind die Kampfsportarten Jiu Jitsu und MMA, die er („viel zu selten in letzter Zeit“) im Trigoon Dojo trainiert. „Ich liebe es, mich ab und an unter Aufsicht und nach Regeln zu kloppen, so zum Ausgleich. Und ich liebe mein Dojo! Diesen Gestank und es ist durchsetzt von allen Schichten und Milieus.“
Bald sitzen wir auf dem „Gummiberg“, einer Erhöhung im Mentzelpark. Wenn er nicht mehr weiter weiß, lässt Kai sich hier inspirieren. Von dem Blick auf die Plattenbauten, in denen er großgeworden ist, auf den Zusammenfluss von Dahme und Spree, an dem Europas größter Bronzezeithort liegt und auf das ehemalige „Rewatex“-Gelände, in dem er als einer der ersten Köpenicker Punks mit seinen Kumpels die Buchstaben „KEA“ an Wände gesprayt hat. Die frühere Gang, bestehend aus Kai, Emma und Atze, ist längst nicht vergessen. „Es gibt noch Tags von uns. Und wenn ich mit meinen Kumpels im Mellowpark auftauche, erkennt man uns jetzt noch. Zumindest die Alten!“
„Spießig, aber geil!“
Häufiger als in dem Skatepark sitzt Kai aber bei Freunden zu Hause und findet das selbst „spießig, aber geil!“ Berlin-Touris bringt er zum Essen in die Alte Laterne oder ins Flußbad Köpenick. Mit Kindern geht er in die Bude. Die war Köpenicks Drogenumschlagplatz Nummer eins, bis Kais Kumpel Marek „die Dealer vor die Tür gesetzt“ und Kaninchen angeschafft hat. Jetzt ist er zu einem Familientreffpunkt mit Waldkita und Konzerten geworden. „Guter Typ und absolut guter Ort“, fasst der Autor zusammen. Ähnlich begeistert ist er vom Kino Union. Weil man dort noch Subkultur aufrechterhalte, während der „Wurstzipfel der Stadt“ nachhole, was in den letzten Jahren nicht gebaut wurde. Die Folgen reichen von extremem Zuzug in Schmöckwitz („Wenn ein Zahnarzt aus Bremen ein Haus kauft…“) bis zur Aufwertung der Friedrichshagener Bölschestraße („Wenn das so weiter geht, is dit bald ne einzige Anwaltskanzlei!“).
Wenn Kai ins Quatschen kommt, dann nur mit Berliner Nonchalance. Dazu gehört auch hemmungslose Ehrlichkeit darüber, was ihm nicht passt. Das Verlagswesen zum Beispiel, durch das Autoren mit Kinderbüchern so wenig Geld verdienen, dass Bildungsarbeit oft nur nebenbei gemacht werden kann. „Das ist alles so bieder, da hab ich Lust, einfach mal reinzurotzen“, sagt Kai. Rotz’n’Roll eben. Soll er machen. Darauf haben Berliner Gören lange genug gewartet.
Mehr von Kai findest du auf seiner Homepage oder auf Facebook. Leseratten empfehlen wir außerdem seine Buchvorstellungen „Bücher für die Meute„.
Noch mehr tätowierte Kiezspaziergänge: