Ungemütlicher könnte die Tour nicht starten. Erst die lange Busfahrt nach Gatow (Kurze Wikiabfrage: „Gatow liegt im Süden von Spandau. Zwei Kilometer weiter verläuft die Grenze zu Brandenburg.“). Dann bei strömendem Regen aussteigen und feststellen, dass das Outfit nicht zum Wetter passt. Also Ulli Zelle anrufen. Der geht nicht ran.
Nach 15 Minuten also doch aufbrechen – zum Einfamilienhaus mit Figürchen auf der Treppe und Kinderrädern im Garten. Punkt elf. Direkt von seiner Haustür startet der Kiezspaziergang. „Wo wollen wir hin?“, fragt er. „Hm, keine Ahnung… Wo geht man hier denn so hin?“ Kurze Denkpause. Dann sein Vorschlag, erstmal das Auto zu nehmen.
„Allzweckwaffe“, „Workoholic“, „Stadterklärgesicht“
Super Idee! Also rein in die dunkelblaue Familienkutsche. Jetzt kann es nur noch witzig werden mit Berlins TV-Papa. Ulli Zelle, Urgestein des Lokalfernsehens, steht seit über 30 Jahren bei jedem (un-)wichtigen Hauptstadt-Ereignis vor der Kamera und legt routiniert, aber nie gelangweilt seine Aufsager hin. Dafür gab es schon diverse Titel – von „Allzweckwaffe“, über „Workoholic“ bis „Stadterklärgesicht“. Mit allen kann der Anchorman des rbb leben.
In echt ist er dünner. Das müssen die 5-Fernseh-Kilo sein. Außerdem ist er ziemlich groß und sieht für 64 Jahre verdammt frisch aus. Vielleicht liegt’s am guten Kaffee. Den schlürft er am liebsten bei Johannes, „dem Barista meines Vertrauens“, eine Dorfstraße weiter. Johannes ist Architekt und betreibt am Wochenende im ehemaligen Tierwärter-Haus der Pfaueninsel Hannes Café. Das mit dem Haus muss Ulli kurz erklären. „Notieren Sie bitte, Frau Kufeld!“
Sehr gern: Die Pfaueninsel war im 19. Jahrhundert in Teilen ein zoologischer Garten (Vorgänger und Grundstock des heutigen Zoos!). Als der aufgelöst und umgestaltet wurde, kam das Fachwerkhaus mit einem Lastkahn über die Havel nach Alt-Gatow. Dort steht es jetzt und gehört Johannes. Am Wochenende gibt’s im Anbau von 11 bis 18 Uhr Kaffee und Kuchen. Weil aber Freitag ist, dürfen wir nur mal gucken kommen und gehen weiter zum Windmühlenberg.
„Die Mordsmühle von Evanshill“
Denn Ulli Zelle wäre nicht Ulli Zelle, wenn es zur Windmühle nicht auch noch eine Topstory gäbe. Als die zur 750-Jahr-Feier des Ortsteils eingeweiht wurde, ließ sich sogar Wowi blicken. Denn das Wahrzeichen Alt-Gatows ist so eine Art Ersatzmühle, die an ihre Vorgängerin erinnern soll, die 1921 hier in Flammen aufging. Nicht etwa aus Versehen – sondern für einen Film. Die UFA drehte „Die Liebesabenteuer der schönen Evelyn oder die Mordsmühle von Evanshill“ und die musste brennen. Special Effects gab es damals nicht. Also wurde die Bockwindmühle ihrem Müller abgekauft und angezündet. „Dann war sie weg!“ sagt Ulli. Der Film im Übrigen auch. Er gilt als verschollen.
Ulli Zelle, der Märchen- äh Geschichtenerzähler. Das hat er echt drauf. Immerhin ist er seit Jahrzehnten im Training, nennt sich selbst „Reporter mit Herzblut“. Der schon am 3. November 1989 live vom Fall der Berliner Mauer berichtete, drei Wochen von der Flut im Oderbruch und von jedem Berlin-Konzert der Rolling Stones. Apropos Musik: Singen kann Ulli Zelle auch. Als Spaßprojekt zum 50. haben „Ulli und die grauen Zellen“ inzwischen regelmäßig Konzertauftritte in Clärchens Ballhaus und der Eierschale Dahlem.
Wenn er bei so viel Aktionismus – elf Marathons ist der Mann natürlich auch schon gelaufen – noch Freizeit hat, geht er mit seiner Frau und den zwei Söhnen im Sommer gerne schwimmen. Dann wird sich auf der kleinen Badewiese im Ort gesonnt und abends am Stuttgarter Platz noch was gegessen und getrunken. „Das ist eigentlich mein Kiez.“ Und nicht sein erster.
1973 kam er nach Westberlin, wohnte in der Muskauer Straße in Kreuzberg, dann in Moabit, Schöneberg, Charlottenburg und jetzt eben in Gatow. Trotzdem sagt er: „Vielleicht bleibt man auch immer ein bisschen Zugezogener…“ Immerhin einer, den längst jeder kennt und der allein auf unserem Ausflug dreimal angesprochen wird. Nervt das nicht manchmal? „Nö. So ist das, wenn man Gesicht in die Kamera hält. Für die Leute bin ich einfach Ulli.“ Der als einer der Dienstältesten beim rbb auch schon einmal ans Aufhören gedacht hat? „Der Reporter steckt einfach tief in einem drin, das begleitet dich ein Leben lang. Und eine Zeitung hat mal geschrieben, was wohl auf meinem Grabstein stehen wird.“ Was denn? „…und damit zurück ins Studio.“