Wie ist es einzuwandern? Diese Frage sollten sich vor allem straffällig gewordene Kinder und Jugendliche einmal gestellt haben. Denn die wortwörtlichen „Klein“kriminellen haben mitnichten Narrenfreiheit. Die Jugendarrestanstalt in Lichtenrade beispielsweise ist dafür zuständig, dass auch schon die über 14-Jährigen hinter Gitter wandern – jedenfalls für bis zu vier Wochen. Der Rechtsanwalt Volker Loeschner setzt sich seit Jahren mit dem Jugendzentrum Betonia dafür ein, dass der Problemjugend aus Marzahn mal der Alltag in der Anstalt vor Augen geführt wird. Und dieser stellt sich ganz unromantisch dar.
6:45 Uhr wird geweckt. Bis 8:00 Uhr hat man gefrühstückt und sein Zimmer aufgeräumt. Danach fängt die Arbeit an: Wie viele andere Gefängnisse ist die Jugendarrestanstalt zu großen Teilen autark, was Reinigung angeht. Die bis zu 60 Insassen – von den Vollzugsbeamten Arrestanten genannt – putzen selbstständig, bis auf die Sicherheitsräume natürlich. Momentan gibt es nur 17 Arrestanten in der Einrichtung, im Herbst gilt es, die Apfelbäume im Hof zu pflegen und Kartoffeln müssen auch geerntet werden. Es gibt Kompetenztrainings und selbst eine Werkstatt, die es den Jugendlichen auch bei kürzesten Arrestaufenthalten ermöglicht, etwas eigenes hergestellt zu haben.
Eine Lektion lernen
Das macht es gerade für die Sozialarbeit nicht leicht. Der große Vorteil der Anstalt ist es ja, mit Personal aufzuwarten, das Aufmerksamkeit zu geben vermag und versucht, Perspektiven aufzuzeigen und zu erziehen. Bei gutem Verhalten darf man auch ein bisschen länger draußen in den Fluren bleiben, statt pünktlich um 18 Uhr weggesperrt zu werden. Arrestanten über 18 dürfen im Hof rauchen – eine seltene Regelung in Jugendarrestanstalten. Normalerweise ist es verboten. Wo die Zigaretten überhaupt herkämen? „Aus dem Zigarettenautomat im Hof“, sagt die Sozialarbeiterin.
Die Jungs und Mädchen tun ganz lässig, fühlen sich nicht abgeschreckt
Arrestanten in Lichtenrade leben irgendwo zwischen Vollzeiterziehung und Gefängnisalltag. Noch am Ende der Tour tun die Jungs und Mädchen aus Marzahn – die Anstalt ist übrigens die einzige Vollzugseinrichtung dieser Art für beide Geschlechter – ganz lässig, fühlen sich nicht im mindesten abgeschreckt. Zwar haben sie alle ihren geht-mich-doch-nichts-an-Blick aufgesetzt. Eines der Mädchen nimmt aber doch die Sozialarbeiterin zur Seite und lässt sich wegen eines kleineren Deliktes beraten. Außerdem weiß letztere aus Erfahrung, wie viele Packungen Taschentücher in den ersten Nächten als frisch Einsitzender drauf gehen. Als die Gruppe wieder in die Freiheit geschleust wird, verabschieden sich der Vollzugsbeamte und die Sozialarbeiterin mit den Worten: „Ich hoffe, wir sehen den ein oder anderen nicht wieder.“ Und es klingt erstaunlich herzlich.