Blog: Notes of Berlin

Das Mekka der Zettelwirtschaft

Joab Nist liebt Berlin und die kuriosen Zettel, die an fast jedem Ampelmast und Stromkasten der Hauptstadt hängen.
Joab Nist liebt Berlin und die kuriosen Zettel, die an fast jedem Ampelmast und Stromkasten der Hauptstadt hängen. Zur Foto-Galerie
Joab Nist sammelt fotografische Eindrücke von Zetteln an Ampelmasten, Stromkästen, Schaufenstern und überall andernorts, wo die Berliner sich auf kreative Weise durch Aushänge mitteilen. Sein Blog "Notes of Berlin", auf dem er jeden Tag ein Foto veröffentlicht, hat mittlerweile Kultstatus. QIEZ hat sich mit dem 29-jährigen Studenten getroffen und nachgehakt, was ihn an der Berliner Zettelwirtschaft so fasziniert…

„Für mich sind die Zettel ein Kulturschatz. Die Stadt teilt sich durch sie mit – Ängste, Gesellschaftskritik, Freude, all das spiegelt sich in den Zetteln wider“, erklärt Nist, der eigentlich aus München stammt, aber 2004 fürs Studium nach Berlin zog. Damals lockte ihn die Hauptstadt mit ihrem Charme. Er liebte die Wildheit, Kreativität und Romantik Berlins. In den Zetteln, sagt er, habe er all diese Attribute wiedergefunden.

„In München oder Hamburg findet man eher Zettel mit reinen Informationen und Fakten, in Berlin hingegen sind sie kreativ, skurril, witzig. Sie geben einem ein heimisches Gefühl und vermitteln Kiezkultur“, so Nist. „In keiner anderen Stadt Deutschlands gibt es annähernd so viele Zettel wie in Berlin – es ist ohne Wenn und Aber das Mekka der Zettelwirtschaft.“

Stargate Straße

Sein „kleines Baby“                                                                                 

Das Zettel-Projekt trug Nist viele Jahre mit sich umher, ehe es wirklich losging. Wenn der Kulturmanagement-Student, der das Thema Zettelwirtschaft auch für seine Masterarbeit aufgegriffen hat, darüber spricht, leuchten seine Augen und man bekommt beinahe das Gefühl, er rede wie über eine Person. So nennt er die Berliner Aushangkultur mit einem Schmunzeln im Gesicht auch sein „kleines Baby“.

Man könnte das kleine Baby inzwischen aber durchaus als heranwachsenden Teenager bezeichnen, denn Nists Blog www.notesofberlin.com erfährt mittlerweile großen Zulauf. Seit etwa einem Jahr schicken ihm die Blog-Leser um die fünf bis zehn abfotografierte Botschaften pro Tag. Längst muss Nist nicht mehr selbst für Bildernachschub sorgen. Nur etwa zehn Prozent der Fotos stammen noch von ihm. Allerdings ist er nach wie vor derjenige, der die spannendsten Aushänge auswählt und eventuelle Fälschungen aussortiert. Dabei folgt er meist dem Bauchgefühl.

Buch mit den kuriosesten Zetteln

„Gerade weil ich die Fotos nicht mehr nur allein hochstelle, ist das Ganze umso authentischer. Jetzt gibt es Zettel aus allen Bezirken und Kiezen. Das wäre solo gar nicht zu leisten“, sagt Nist. Die Nachrichten der Berliner an die Berliner reichen von rauen Beschwerden wie „Das ist ein Sandkasten für meinen Jungen und KEIN Hundescheißplatz! Geht das in Ihr Spatzenhirn???“ über niedliche Anliegen von Kindern wie „Wenn sie Tiere Lieben, essen sie vegetarische Wurst“ bis hin zu vollkommen absurden Abrisszetteln, von denen man sich ein Smiley oder Herzchen „to go“ mitnehmen kann.

Im Sommer dieses Jahres veröffentlichte Nist schließlich ein Buch mit einer Sammlung seiner bisher schönsten, interessantesten und lustigsten Zettel. „Wellensittich entflogen. Farbe egal – Kuriose Zettelwirtschaft“ heißt das im Ullstein-Verlag erschienene Werk mit vielen Bildern und einigen besonders interessanten Geschichten, die hinter den Zetteln stecken und die der Prenzlauer Berg-Bewohner extra recherchierte. Bei der Frage nach seinem Lieblingszettel öffnet Nist das Buch und zeigt auf ein kleines zeichnerisches Kunstwerk, auf dem äußerst detailreich um Wohnungstausch gebeten wird.

Schlesische Straße 13 unter der Palmen Apotheke

Neue Projekte in Planung

Dass er einmal das Gesicht von Notes of Berlin werden und so viel mediale Aufmerksamkeit erhalten würde, hätte Nist nicht gedacht. Aber er freut sich über den Erfolg des Projektes und hat nichts dagegen, dass man ihn mit der Zettelwirtschaft in Verbindung bringt. Er möchte Notes of Berlin noch über viele Jahre fortführen, auch wenn es zu einem sehr zeitaufwendigen Großhobby geworden ist. Ob die Zettelwirtschaft einmal seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, weiß Nist nicht, möchte sich aber auch gar nicht so sehr einschränken: „Ich würde nicht ausschließen, in Zukunft Erfahrungen in einem anderen kreativen Job zu sammeln. Der Bereich Kulturmanagement lässt mir da ja sehr viele Möglichkeiten.“

Ob er denn schon neue Projekte in Planung habe, fragen wir zum Schluss. Nist grinst und erklärt, dazu könne er noch nichts sagen. Am Ende kann QIEZ ihm aber doch entlocken, dass er irgendwann gern den Blog „Notes of Germany“ starten möchte. „Die Zettelwirtschaft erreicht Menschen von Aachen bis Zwickau. Denen möchte ich auch eine Plattform bieten.“

Notes of Berlin, www.notesofberlin.com

„Wellensittich entflogen. Farbe egal: Kuriose Zettelwirtschaft“ von Joab Nist, Ullstein Taschenbuch (8. Juni 2012), 208 Seiten

 

 

Was war der kurioseste Zettel, den Sie jemals in Berlin haben hängen sehen? Schreiben Sie uns von Ihren Erfahrungen mit der Berliner Zettelwirtschaft!

Foto Galerie

Das Mekka der Zettelwirtschaft, Schönhauser Allee 131, 10437 Berlin

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