Vor zwanzig Jahren zogen die französischen Streitkräfte ab. Was ist aus dieser Zeit geblieben - außer einem erklärungsbedürftigen Denkmal vor der Kaserne? Der Weddingweiser hat sich auf die Spuren des französischen Erbes begeben.
Vor der Kaserne, vor dem großen Tor – viele junge Berlinerinnen standen in den Achtzigerjahren vor der größten Kaserne der Stadt, dem Quartier Napoléon und warteten auf die jungen französischen Wehrpflichtigen, um von hier aus neugierig das Nachtleben der Stadt mit ihrer absurden Insellage zu erkunden. Fini, aus und vorbei. Zwanzig Jahre ist es in diesem Jahr her, dass die Franzosen ihre Soldaten aus Berlin abgezogen haben. Was ist aus dieser Zeit geblieben – außer einem erklärungsbedürftigen Denkmal vor der Kaserne?
Nur wenigen Weddingern ist überhaupt bewusst, dass dieses Gelände am Flughafen noch zu ihrem Ortsteil gehört. Dort waren im Durchschnitt um die 1 700 französischen Rekruten stationiert, die in der geteilten Stadt – bei etwas höherem Sold als im Mutterland – ihren Wehrdienst in Berlin ableisteten. Ursprünglich ist der 90 Hektar große Militärstandort in der Nazizeit eigentlich für die Luftwaffe erbaut worden, doch die Franzosen konzentrierten nach dem Krieg fast ihre gesamte Infanterie- und Panzerabwehrgarnison an diesem Standort.
Außerdem ergänzten sie die sechzig Gebäude der Kaserne 1953 sogar um eine eigene Kirche. Die ungewöhnliche EgliseSaint-Louis wurde in die Kasernenmauer hineingebaut (Entwurf: André Chatelain). Zum Kurt-Schumacher-Damm zwar fensterlos, besitzt sie zur Straße hin sehenswerte Reliefs, die das Jüngste Gericht darstellen. Auch ein Kulturhaus mit dem Kino L’Aiglon ergänzt das Ensemble seit 1956. Die geschwungenen Formen, die Leuchtschrift und die großzügige Verglasung sind typisch für den Geschmack der 50er-Jahre. Ein Jammer, dass dieses Gebäude seit zwanzig Jahren leer steht und verfällt…Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Bundeswehr in der heute nach Julius Leber benannten Kaserne das Wachbataillon und die Feldjäger untergebracht hat.
„Die Offiziere und Unteroffiziere lebten in Berlin praktisch wie in Frankreich“, erinnert sich Marie-Christine Pollet, die einige Jahre lang als Zivilangestellte bei der Armee beschäftigt war. “In der Kaserne arbeitete man, privat lebte man in den Cités, die Städtchen für sich waren.” Für Familien gab es eine Siedlung in Wittenau. Die Cité Joffre (am heutigen Zentralen Festplatz am Kurt-Schumacher-Damm) war hingegen der Standort, wo die Junggesellen und Junggesellinnen der Armee untergebracht waren. Zwischen 1953 und 1962 wurden etwa 300 Wohnungen in locker angeordneten Mehrfamilienhäusern errichtet, und noch heute hat diese reine Wohnsiedlung im Grünen einen sehr vorstädtischen, wedding-untypischen Charme. Für die Wehrpflichtigen war es sicher eine Einschränkung, weit weg von ihren Familien in Frankreich eingesetzt zu sein, aber dafür verfügten die Soldaten über gewisse Privilegien wie mehrwertsteuerfreie Einkäufe, so Marie-Christine Pollet
Kleingärten und Volksfest tragen den Namen
Noch heute erinnert bei genauerem Hinsehen vieles an diese Zeit, doch ohne Erklärungen erschließen sich die Relikte von fast 50 Jahren französischer Präsenz nicht mehr. So heißt das Trainingsgelände der Franzosen noch immer „Stade Napoléon“ und wird als American Football-Platz der Berlin Adler genutzt; ein Kleingartenverein führt noch immer den Namen „Quartier Napoléon“ im Namen. Ein vergilbtes Schild an der Kasernenmauer warnt noch auf französisch vor den bissigen Militärhunden. Auch die Straßennamen in der ehemaligen „Cité Joffre“ haben einen Bezug zu Frankreich – so gibt es beispielsweise die Allee du Stade oder eine Tourcoing-Straße, 1992 benannt nach der langjährigen Partnerstadt des Wedding in Nordfrankreich.
Aus Tourcoing stammt auch Marie-Christine Pollet, die nach einem Jugendaustausch nach Berlin ein Job-Angebot vom Rathaus Wedding erhielt, mal einige Zeit dort wohnen wollte – und am Ende 29 Jahre in Berlin blieb. Ein paar Jahre lang waren die Forces franςaises auch ihr Arbeitgeber. “Die Westalliierten waren allgemein recht gut angesehen, da sie mit der Zeit von Besatzungsmächten zu Schutzmächten, die die Sicherheit West Berlins garantierten, geworden waren”, erinnert sie sich.
Offen für die Berliner Bevölkerung war auch das Angebot des Centre Culturel Français an der Müllerstraße, das noch heute mit starkem Frankreich-Bezug genutzt wird. Fernab von Militär, mitten in einem typischen Weddinger Wohngebiet, präsentierte sich die Schutzmacht von ihrer besten Seite. „Es gab eine Bibliothek, ein Kino, Ausstellungen und sogar französische Kochkurse“, berichtet Florian Fangmann, der Geschäftsführer des heute als Centre Français de Berlin bezeichneten Gebäudes. Ein Hotel und ein Restaurant gehören ebenfalls zum „Centre“. Nach jahrelanger Schließung ist das ehemalige Kino jetzt wieder als Veranstaltungssaal nutzbar. So wird auch hier ein Stück jüngerer Weddinger Geschichte in die heutige Zeit hinübergerettet. Das deutsch-französische Volksfest auf dem Zentralen Festplatz erinnert ebenso in jedem Sommer an die Jahre, in denen Frankreich in West-Berlin als Schutzmacht fungierte.
Parlez-vous français?
Französisch hört man aber auch ständig an der Afrikanischen Straße. Seit 1980 gibt es dort die städtische „deutsch-französische Kita“. Diese wendet sich speziell an deutsch-französische Familien, um dem Doppelspracherwerb und der Bikulturalität ihrer Kinder Rechnung zu tragen. Heute sind es auch die Mitglieder der afrikanischen Community, die die französische Sprache auf Weddings Straßen bringen. Der Radio- und der Fernsehsender, der früher auf französisch aus dem Quartier Napoleon sendete, ist hingegen längst verstummt. Mit diesem Kapitel Berliner Geschichte, das als positiv wahrgenommen wurde, setzt sich heute kaum jemand auseinander.
Zwar hat der Bezirk Berlin-Mitte (der sich aus Altbezirken aus dem britischen, dem sowjetischen und dem französischen Sektor zusammensetzt) die Städtepartnerschaft mit Tourcoing übernommen, doch eine lebendige Erinnerung an die enge Bindung des Wedding an das westliche Nachbarland Deutschlands wird vom Bezirksamt nicht sonderlich begeistert gepflegt. Lediglich das Lessing-Gymnasium hat offiziell eine Partnerschule in Tourcoing. Den „Bal populaire“ auf dem Rathausvorplatz, herausragende Kunstausstellungen oder staatlich geförderte Sprachkurse im Centre Français wird es sicher nicht wieder geben. Das ist sehr bedauerlich, da die französische Note doch ein Alleinstellungsmerkmal des Wedding gegenüber anderen Stadtteilen wie Moabit, Kreuzberg oder Friedrichshain darstellen könnte. Ein Befassen mit diesem Teil der Geschichte des „blau-weiß-roten Wedding“ steht also noch aus und ist sicher ein lohnenswerte Beschäftigung. Der über die Grenzen des Wedding hinaus bekannte Mini-Eiffelturm vor dem Centre Français in der Müllerstraße reicht dafür nicht aus.
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