Mikesch muss ein harter Kerl gewesen sein. Ein Kämpfer, der sich auch selbst nicht schonte. Bei einem Revierkampf soll er ein Auge verloren haben, erzählt man sich in der Sicherungsverwahrung der Justizvollzugsanstalt Tegel. Das war einmal. Mikesch ist weg. Es heißt, eine alte Dame habe ihn aufgenommen. Bei ihr verbringe der schwarze Anstaltskater nun seinen Lebensabend.
Etwa ein halbes Dutzend Katzen sind auf dem großen Gelände der JVA unterwegs. Ihre Hauptaufgabe: Mäuse jagen, die sich aus dem Tegeler Forst in die Gefängnismauern verirren. Aber ganz nebenbei verwandeln sie auch den einen oder anderen Insassen. In der Sicherungsverwahrung, dem neuesten der fünf Gefängnishäuser, haben jetzt zwei Neue das Revier übernommen. Sie heißen: Bonnie und Clyde.
Die zwei sind aus einem Tierheim in Brandenburg. Mit wenigen Wochen und jede nur so schwer wie zwei Päckchen Butter kamen die beiden in ihr neues Zuhause. Das war im November.
Schwere Jungs mit „30 Jahren Hafterfahrung“…
„Ich habe mich sofort verliebt“, sagt ein Insasse, der sich „Bär“ nennt. Er legt die große Hand auf Bonnies Kopf, die gleich zu schnurren beginnt. Bär ist einer der 38 Männer, die derzeit hier leben. Sie haben alle ihre Haftstrafe abgesessen, gelten aber als so gefährlich, dass sie hinter Gittern bleiben. Wann und ob sie irgendwann rauskommen, hängt von der Prognose ab, ob sie weiterhin eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen. Zu seiner Straftat möchte Bär nichts sagen. Nur so viel: Von seinen 49 Lebensjahren habe er „30 Jahre Hafterfahrung“.
Besonders hat es ihm Bonnie angetan, die jetzt auf seine Schulter gesprungen ist. Sie darf das, auch wenn ihre Krallen nicht die beste Pflege für seine Lederjacke sind. Er nimmt sogar die Kappe ab, damit sie sich an seinen Kopf schmiegen kann. „Baby“ nennt er sie. Clyde mit seinen durchdringenden gelben Augen ist „Dickerchen“.
…und großer Teddysammlung
Seinen eigenen Spitznamen hat Bär von seiner Mutter. Sie hat ihn schon so genannt, als er ein kleiner Junge war – wegen seiner Teddysammlung. „Die größte, die man sich vorstellen kann“, sagt er. Er sei mit Tieren aufgewachsen. Weil er weiß, dass Katzen Höhlen lieben, hat er aus einer Lieferung einen Pappkarton abgezweigt, einen Eingang reingeschnitten und den Karton umgekehrt neben den Katzenkorb gestellt.
In die Zimmer dürfen sie nicht, auch wegen der Allergiker. Wenn Bär morgens um sechs Uhr geweckt wird, beeilt er sich mit dem Anziehen, denn er weiß: Wenn er gleich den Flur herunterläuft, warten Baby und Dickerchen schon auf der anderen Seite der Glastür und blicken ihm entgegen.
Kater Clyde: zwei Ausbruchsversuche in fünf Monaten
Dickerchen liegt mit halb geschlossenen Augen immer noch im Katzenregal, auf einem Tuch, das zu einer Art Hängematte gespannt ist. Die Pfote baumelt lässig in der Luft. Den Ruf als harter Kerl hat er sich bereits erkämpft. Zwei Ausbruchsversuche hat Clyde alias Dickerchen hinter sich, einen davon direkt nach seiner Sterilisation. In einem Haftraum sollte er sich erholen. Dass eine Katze durch die vergitterten Fenster passt, hatte niemand bedacht.
„Vor ihm ist es noch keinem gelungen, dort auszubrechen.“ Bär tätschelt anerkennend den Katerkopf. Der post-operative Fluchtversuch endete damit, dass Dickerchen auf der anderen Seite des Fensters verharrte, bis Bär kam und ihn wieder reinholte.
Bär mag das Gefühl, Verantwortung für die Tiere zu haben. „Die haben etwas im Wesen, was Menschen oft nicht zeigen können. Wärme. Freundlichkeit. Liebe.“ Dem kann Kerstin Becker nur zustimmen. Mittlerweile hätten die Katzen die Herzen aller Bewohner erweicht, sagt sie mit Blick aus ihrem Bürofenster. „Auch von denen, die am Anfang dagegen waren.“ Diese Art Therapie war nicht explizit der Zweck der Katzenanschaffung, wohl aber die Hoffnung.
Katzen haben keine Berührungsängste
Die Mitarbeiter in der Zentrale der Sicherungsverwahrung können durch die Glasscheibe beobachten, wie die Männer am Katzenspielplatz stehen bleiben, zum Schmusen und Spielen. Das Interesse wundere sie nicht, sagt die Mitarbeiterin, die gerade Dienst hat. Sie habe viel mehr überrascht, „wie diese kleinen Dinger hier ankamen und überfallartig auf die Verwahrten losgegangen sind“. Ganz ohne Berührungsängste.
Sie werden ein wildes Leben führen, Mäuse jagen und die anderen Anstaltskatzen kennenlernen. Natürlich kann es passieren, dass man sie versehentlich irgendwo einsperrt. Dickerchen hat schon mal eine Nacht im Konferenzraum verbracht, weil jemand die Tür geschlossen hat. Aber bei einem kann man sicher sein: Es bliebe nie lange unbemerkt. Baby und Dickerchen würden hier ziemlich schnell vermisst.