Unterwegs im Kiez

Schandfleck Mehringplatz?

Die Statue im Mehringplatz
Auf den ersten Blick wirkt der grüne Mehringplatz ganz harmlos...
Alkohol- und Drogensüchtige, Dreck, Fäkalien und Prügeleien gehören zum Alltag auf dem Mehringplatz: Die ansässige Bürgerinitiative La Belle Alliance will diese Zustände nicht länger dulden und beschwert sich öffentlich bei den Verantwortlichen in der Politik. Wir waren vor Ort.

Eingeklemmt zwischen dem Touristen-Hot-Spot Checkpoint Charlie und dem Start des wunderschönen Landwehrkanals mit den begehrtesten Wohnungen Kreuzbergs, liegt das graue Rondell des Mehringplatzes, früher La-Belle-Alliance Platz genannt. Wer gerne im Jüdischen Museum zu Gast ist, hat den unscheinbaren Platz bestimmt schon öfter überquert – wahrscheinlich in zügigem Tempo. Direkt vor der U-Bahn-Station Hallesches Tor gelegen, lockt einzig die historische Friedenssäule mit der Engelsfigur in der Mitte Besucher an. Das denkmalgeschützte Monument mit dem Brunnen wurde 1843 von Friedrich Wilhelm III. aufgestellt.

Doch leider entstellt eine Dauerbaustelle an der U-Bahn, an der bereits seit sechs Jahren gearbeitet wird, die Bilder der historischen Sehenswürdigkeit. Und obwohl die Friedenssäule einst als Zeichen des Friedens nach den Befreiungskriegen aufgestellt worden war, haben die Anwohner des Mehringplatzes alles andere als das: Auf der einen Seite der kreisförmigen Hochbeete sitzen oft Großfamilien, die sich laut Anwohnern sogar morgens im Brunnen waschen, auf der anderen Seite lümmelt eine große Gruppe von Männern und Frauen, die Mühe haben, ihre aggressiven Hunde zu trennen. Baustellen, lieblose, graue Betongebäude und Trunkenbolde: Dieser Anblick alleine ist in Berlin kein ungewöhnlicher und schließlich sitzen an diesem sonnigen Tag auch Schüler und Menschen mit ihrem Mittagessen auf den Hochbeeten im Schatten. Auf den ersten Blick also kein besonders brisanter Ort – doch wie schlimm die Zustände wirklich sind, erleben vor allem die Anwohner tagtäglich.

Obdachlosen sitzen auf dem Mehringplatz.

Diese Obdachlosengruppe trifft sich gerne am Mehringplatz, hinterlässt jedoch viel Müll und Unrat.

Vergessen und verschmutzt: Der Mehringplatz ist ein sozialer Brennpunkt

Von diesen treffen wir heute leider niemanden auf dem Platz und auch die Verkäuferin des kleinen Asia-Imbisses auf der Seite des Halleschen Ufers wehrt uns in perfektem Deutsch ab: Sie wolle nichts zu den Zuständen auf dem Platz sagen, ihre Deutschkenntnisse seien zu schlecht. Die Anwohner dagegen wehren sich immer lauter gegen die Verwahrlosung ihres Wohnorts. Bei einer Befragung im Rahmen des Aktionsforums Mehringplatz vor einigen Jahren kam ans Licht, dass der Mehringplatz ein Treffpunkt für Alkohol- und Drogensüchtige ist, die sich an dem schattigen Ort mit seinen dunklen Arkadenecken wohl besonders wohlfühlen. Die Realität ist weit entfernt von dem, was sich die Anwohner wünschen: eine grüne Rasenfläche für Freizeit und Erholung.

Damals wurden vom Bezirk Verbesserungen und ein Umbau mit mehr Grün und Spielplätzen versprochen – doch nichts passierte und die Situation verschlimmerte sich über die Jahre hinweg trotz Zukunftswerkstätten und Bezirksverordnetenversammlungen weiter. Margit Boé, Vorstand der Anwohnerinitiative La Belle Alliance für einen schöneren Mehringplatz, sagt: „Es ist dreckig und es stinkt überall wie in einer Toilette, auch vor unseren Müllräumen. Wir wären ja schon froh, wenn die Drogensüchtigen eine Toilette hätten.“ Auf konkrete Handlungsvorschläge des Vereins, dass beispielsweise wie am Leopoldplatz eine feste, öffentliche Toilette für Junkies finanziert wird, sei keine Reaktion gekommen: Diese 200.000 Euro wären dem Bezirk Kreuzberg wohl zu teuer, aber warum, merkt Boé an, seien dann 160.000 Euro da für die Sitzbank-Parklets in der Bergmannstraße, die keiner haben will? Statt konkrete Schritte zu ergreifen, würden die Anwohner vertröstet: Derzeit fehlen zwei Millionen Euro für den Umbau, diese Mehrkosten sind nötig wegen gestiegener Baupreise, doch die Planung laufe schon. Es werde viel geredet, doch nicht gehandelt – weder vom Senat, noch vom Gesundheitsamt, noch von der Gewobag, die zuständig sei für die verschmutzten Durchgänge unter den Wohnungen und für die leicht zu knackenden Haustüren, durch die die Junkies ins Haus gelangen können und sich, wie Boé erzählt, auch im Keller die Drogen spritzten.

Wo Kreuzberg weder hip noch schön ist

Wer allerdings fast jeden Tag zu Gast ist auf dem Mehringplatz, ist die Polizei: Die alteingesessene Dame erzählt, dass diese fast jeden Tag anrücken müsse, um Streit entweder zwischen den Drogenjunkies oder den jugendlichen Anwohnern zu schlichten. „Die Aggressionen und der Frust der Anwohner nehmen zu“, so Boé. Das Ordnungsamt habe sie das letzte mal vor drei Jahren auf dem Mehringplatz gesehen – und das, obwohl auch einige Alkoholjunkies ihre Kampfhundrassen ohne Leine frei herumlaufen lassen. „Dabei würde jede alte Dame mit Dackel ohne Leine einen Strafzettel bekommen“, beschwert sich die Französisch-Dozentin. Sie verstehe ja, dass die Leute sich irgendwo treffen wollen und auch ihre Notdurft verrichten müssen. Aber warum müssten die Anwohner darunter leiden und teilweise eigenhändig Exkremente aufschaufeln? Ihrer Meinung nach sind die Suchtkranken auch gar keine Obdachlosen: Auf Boés direkte Nachfrage hin hieß es, sie hätten Wohnungen und ihnen sei nur langweilig – manche kommen bis aus Schöneberg hierher, um zusammen Alkohol zu trinken und Drogen zu nehmen.

„Ich wohne im zweiten Stock und sehe schon vom Fenster aus, wie die Junkies sich unter mir einen Schuss setzen und wegkippen“, so die empörte Vorsitzende von La Belle Alliance. Die Trinker verhalten sich außerdem des öfteren aggressiv gegenüber Passanten: Hendrikje Ehlers, die seit 1989 jeden Morgen und Abend über den Mehringplatz zu ihrer Schuhmacher-Werkstatt radelt, wurde selber bereits beleidigt und einmal sogar niedergeschlagen. Es passierte, als sie die dortige Gruppe bat, ihrem Hund zuliebe ihre eigenen Vierbeiner zurückzuhalten. Sie selbst habe ja ihre „Kreuzberger Ausbildung“ und lasse sich nicht einschüchtern, sagt Ehlers selbstbewusst, aber was sei mit anderen Passanten? „Es ist fatal, was am Mehringplatz passiert und was da jeden Tag so los ist“, so die in Kreuzberg lebende Schuhmacherin. Sie sehe ja jeden Tag, wie sich der Platz entwickelt und vermute, dass der Platz absichtlich so vernachlässigt werde, damit andere Ecken Kreuzbergs, wo „die Schönen und die Reichen wohnen“, sauber bleiben. Auch wundere sie sich, was das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg mit über drei Millionen Euro am Platz hier genau machen wolle. Nur den Platz renovieren oder doch mehr? „Das sind nämlich tolle Maisonette-Wohnungen, die werden dann doch irgendwann auch luxussaniert“, sagt die 56-Jährige.

Das Graffiti am Mehringplatz: ein Mann mit schwarzem Hoodie, aus dem bunte Vögel fliegen.

Dieses Kunstwerk am Mehringplatz scheint nicht jedem gefallen zu haben.

Die Kreuzberger sind das Kämpfen gewohnt

Die südliche Friedrichstadt inklusive der Gegend rund um den Mehringplatz gilt schon lange als sozialer Brennpunkt. Hier leben viele ALG II-Empfänger, unter ihnen viele Familien mit Migrationshintergrund. Es mangelt jedoch nicht nur am Finanziellen – auch die Infrastruktur des Kiezes ist verbesserungswürdig. Der Einzelhandel wirkt wenig attraktiv; außerdem fehlen Sport- und Spielflächen für Kinder und Jugendliche. Der Platz, der vor 13 Jahren, als Margit Boé hierher zog, eine hübsche Wohngegend mit vielen Beamten war, ist inzwischen fast unbewohnbar: „Die Familie unter mir zieht jetzt aus, weil sie ein Baby bekommt. Sie sagen, dass sie es hier nicht mehr aushalten. Und sie sind nicht die einzigen.“ Das Problem sei, dass die Gegend sehr arm sei und die Leute teilweise von Hartz IV leben müssten – wegzuziehen können sich viele schlicht nicht leisten.

Dass die Kreuzberger das Kämpfen und politisches Engagement traditionell gewohnt sind, merkt man, wenn man mit dem Leuten im Kiez spricht. Und auch, dass nicht allen Anwohnern der Zustand ihres Viertels gleichgültig ist, sieht man an den zahlreichen üppig begrünten Balkons und Blumenbeeten, die versuchen, so viel grauen Beton wie möglich zu überdecken. Trotz der Bemühungen, den Platz zu verschönern – etwa vom Quartiersmanagement oder den örtlichen Wohnungsgesellschaften – fühlen sich viele Alteingesessene hier nicht mehr wohl und von der Politik im Stich gelassen. Die Street-Art Kunstwerke am anderen Ende des Platzes verdeutlichen das Lebensgefühl am Mehringplatz: Ein großformatiges Bild des US-Street-Artists Shepard Fairey mit der Aufschrift Make art, not war verschönert den U-Bahn-Eingang an der Friedrichstraße, gegenüber auf der Hauswand flattern aufgemalte bunte Paradiesvögel aus dem gebeugtem Kopf im schwarzen Kapuzenpullover. Gibt es also trotz all der Probleme noch Hoffnung für den Problemkiez?

Schandfleck Mehringplatz?, Mehringplatz, 10969 Berlin

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