„Der Wedding ist einfach meine Heimat geworden. Deshalb drehen sich auch die meisten meiner Geschichten um den Kiez hier“, sagt Paul Bokowski, dessen neuestes Buch „Alleine ist man weniger zusammen“ am 18. Mai erscheint. Zwar sei der Wedding darin nicht mehr so stark vertreten wie in seiner Kurzgeschichtensammlung „Hauptsache nichts mit Menschen“ von 2012, aber weiterhin ein sehr wichtiger Bestandteil des Buches.
Nach dem Zivildienst zieht es Bokowski 2003 zum Studieren nach Berlin. Medizin soll es sein. Und tatsächlich: Im Nachrückverfahren bekommt der gebürtige Mainzer einen Studienplatz und braucht von heute auf morgen eine Bleibe. Wenig später wohnt er in einer Altbauwohnung in der Guineastraße, damals noch ganz ohne Bewerberansturm: „Das war total easy. Ich habe sie besichtigt und direkt auf dem Küchenherd meinen Mietvertrag unterschrieben.“
Die Müllerstraße als Aushängeschild des Weddings
Seitdem ist Bokowski drei Mal umgezogen. „Aber nie weiter als einen Steinwurf entfernt und immer nur näher an die Müllerstraße“. Mit ihrer gastronomischen Vielfalt repräsentiert sie für ihn das Multikulturelle am Wedding insgesamt: „Hier gibt es Koreaner, Chinesen, Polen, Libanesen und die höchste Dönerdichte nördlich des S-Bahn-Rings. Quasi die große weite Welt im Kleinen. Man hat das Gefühl, dass man gar nicht weit reisen muss, um fremde Länder kennenzulernen.“ Dieser Umstand ist für den Buchautor von besonderer Bedeutung, immerhin hat auch seine Familie einen polnischen Migrationshintergrund.
Zudem kann Bokowski sich im Kiez prima erholen. Zum Entspannen sei der Schillerpark eine feine Sache. An Sommerabenden zieht es das Gründungsmitglied der Lesebühne „Fuchs & Söhne“ auch regelmäßig mit Freunden zum Baden an den Plötzensee. Außerdem mag er die Rehberge, die er mit einer kleinen Tradition verbindet: „Nach dem ersten Schnee krame ich mit Freunden Sitzschalen und Schlitten heraus, um mitten in der Nacht Rodeln zu gehen. Das machen wir seit vielen Jahren so.“ Im Sommer könne man hier wunderbar grillen, joggen, Fußball oder Federball spielen, Wildschweine mit Kastanien füttern und fernab der trubeligen Müllerstraße ungestört die Zeit verstreichen lassen.
Mit Gästen ‘ne Schachtel Maden ziehen
Freunden und Bekannten zeigt der Satiriker sehr gerne sein persönliches „kleines Wunder vom Wedding“. Damit meint Bokowski den Madenautomaten in der Tegeler Straße, „bei dem man für’n Euro einfach mal ‘ne Schachtel Maden ziehen kann“. Das macht er besonders gerne mit ortsfremden Besuchern. Sie wissen dann oft gar nicht, was sie mit den kleinen Biestern anfangen sollen und entlassen sie wenig später in die Freiheit. Der Automat gehört zum Angelhaus Koss, das die Maden für Anglerfreunde und allen anderen Neugierigen anbietet: „Die sind schon genial. Frittiert schmecken die bestimmt super“, schätzt Bokowski.
Gerade weil der Buchautor den Wedding bereits seit 2003 kennt und sich hier ein soziales Umfeld aufgebaut hat, sind ihm einige Veränderungen aufgefallen. „Man merkt die Wohnungsnot sehr deutlich. Hier setzen bereits äußerst unschöne Verdrängungsmechanismen ein. Meine ehemaligen türkischen Nachbarn beispielsweise mussten nach vielen Jahren ausziehen, weil sie sich die Miete nicht mehr leisten konnten. Und auch der Rentnerin von nebenan könnte es bald schon ähnlich gehen.“
Zudem seien hier einige hippe Orte wie das Stattbad Wedding entstanden, Clubs, Bars und Restaurants, die immer mehr junge Leute anziehen. Dafür sorgt auch die Beuth-Hochschule mit ihren Technik-Studenten, die hier leben und sich amüsieren. Für Bokowski alles andere als ein Problem, da „der Kiez noch weit davon entfernt ist, ein homogener Stadtteil zu sein“.
Das begegne ihm eher in einem Partykiez wie Friedrichshain. „Mag sein, dass hier Leute mit dicken Strafakten zu Hause sind, aber trotzdem erlebe ich den Wedding als ziemlich friedlichen Familienkiez.“
Mit offenen Augen durch den Kiez
Themen wie Arbeitslosigkeit, Bildungsproblematik oder gesellschaftliche Konflikte sieht der Künstler eher als Grundproblem Berlins und nicht als Alleinstellungsmerkmal vom Wedding. Trotz der starken Kiezverbundenheit bleibt Bokowski aber realistisch und geht weiter wachsam durch sein Viertel: „Denn bei allen Sympathien sollte man niemals die Augen vor den offensichtlichen Problemen verschließen.“
Für seinen Kiez wünscht sich Bokowski, dass er seinen multikulturellen Charme beibehält und auch die liebenswürdige kleinbürgerliche Struktur erhalten bleibt. Natürlich ist die Veränderung nicht aufzuhalten, aber wenn, dann soll sie nicht von heute auf morgen, sondern gemächlich und gemütlich vonstattengehen. „Ich lebe hier mittlerweile länger, als jemals anderswo“, verrät der Buchautor. Ein weiterer Grund, warum der gebürtige Mainzer nicht daran denkt, dem Wedding den Rücken zu kehren.
Paul Bokowski ist seit acht Jahren Teil der Lesebühne „Brauseboys“ im La Luz, die jeden Donnerstag um 20.30 Uhr ihre Türen öffnet. Darüber hinaus ist er Gründungsmitglied der Lesebühne „Fuchs & Söhne„, die seit März 2014 jeden vierten Mittwoch im Monat „auswärts“ im Gemeindesaal Moabit zu lustigen Geschichten einlädt. Sein neuestes Buch „Alleine ist man weniger zusammen“ findet man seit 18. Mai mit einem Preisschild von 12,99 Euro im gut sortierten Buchhandel.