
Mohsin Hamid: Der letzte weiße Mann
Kafka wäre stolz auf Mohsin Hamid, der seinen Roman „Der letzte weiße Mann“ auf der Idee aufbaut, was passiert, wenn ein Weißer über Nacht schwarz wird. Ja, natürlich verfolgt Hamid ganz andere Intentionen als Kafka und so lässt er dessen „Die Verwandlung“ weit hinter sich. Hamids Anders ist nämlich nicht der Einzige, der seine Hautfarbe verliert. Immer mehr Fälle tauchen auf. Was bedeutet das für die einzelnen Menschen und was für die Gesellschaft? Was klingt wie eine wichtige Sozialstudie, ist ein emotionaler Roman, der einen nicht mehr loslässt. Wer nachmittags anfängt zu lesen, gerät in Gefahr, die Nacht zum Tag zu machen.
„Der letzte weiße Mann“ von Mohsin Hamid ist im Dumont Buchverlag erschienen und als Hardcover für 22 Euro im Handel erhältlich.

Andrea Petković: Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht
Wer hätte gedacht, dass die Weltklasse-Spielerin Andrea Petković den Tennisschläger beiseitelegen würde, um sich dann als talentierte Autorin zu erkennen zu geben? Wir waren ehrlich überrascht. Doch Petković stammt aus einer Familie von Erzählern, behauptet sie jedenfalls. In ihrem Debüt verarbeitet sie ihre Autobiografie – sehr persönlich und nie hochtrabend. Es sind eher kleine Geschichten und Erinnerungen, die sie ausgesucht hat und die uns tiefe Einblicke geben in ihr Leben als Flüchtlingskind, als Profi-Spielerin und Mensch. Ein guter Aufschlag, um sich in der Welt der Literatur einen Platz zu erobern.
„Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“ von Andrea Petković ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen und als Taschenbuch für 12 Euro im Handel erhältlich.

Mark Jones: 1923. Ein deutsches Trauma
Viel zu selten greift man zu einem Sachbuch – zu groß ist wohl die Angst, dass sich kompetente Autor*innen nur in Fakten und Zahlen verlieren. Mark Jones ist gleichermaßen Historiker und versierter Erzähler. So ist „1923. Ein deutsches Trauma“ nicht nur lehrreich, sondern trotz Krisen, Terror und Gewalt im besten Sinne unterhaltsam. Ob geschichtliches Ereignis, privates Erlebnis oder einfache Beschreibungen gesellschaftlicher Strömungen: Wir haben selten so gern unser Schulwissen aufgefrischt wie mit Mark Jones lebendigen Beschreibungen. Nun können wir die 1920er Jahre nicht nur feiern, sondern von Grund auf verstehen.
„1923. Ein deutsches Trauma“ von Mark Jones ist im Propyläen Buchverlag erschienen und als Hardcover für 26 Euro im Handel erhältlich.

Chris Power: Ein einsamer Mann
Erst fängt es ganz langsam an, aber dann entwickelt sich aus dem Roman von Chris Power ein echter Thriller. Die Briten Robert und Patrick lernen sich durch einen Zufall in Berlin kennen. Während Robert mit Anfang 40 hier eine Krise schiebt, weil sein Leben stagniert und er den Roman, für den er einen Vorschuss kassiert hat, nicht geschrieben bekommt, scheint Patrick durch seine Arbeit als Ghostwriter in einen Mordfall um einen russischen Oligarchen verwickelt zu sein. Die Geschichte – Wahrheit oder Phantasie – fasziniert Robert und er macht sie zu seiner eigenen. Sie wird Basis für seinen Roman, aber auch Teil seines Lebens, das plötzlich voller Gefahren zu sein scheint…
„Ein einsamer Mann“ von Chris Power ist im Ullstein Buchverlag erschienen und als Hardcover für 22,99 Euro im Handel erhältlich.

Alexa Hennig von Lange: Die karierten Mädchen
Dieser Schriftstellerin kannst du dich zuverlässig anvertrauen: Im lockeren Stil mit lebendigen Details und gut gezeichneten Charakteren bringt dich der Roman „Die karierten Mädchen“ durch die dunkle Zeit – auch im übertragenen Sinn. Denn die Geschichte behandelt die Nazi-Zeit, an die sich eine mittlerweile 90-Jährige Frau erinnert. Inspiriert wurde die Geschichte von Alexa Hennig von Langes Großmutter, die – wie die Hauptfigur des Romans – 130 Kassetten aufnahm, um ihren Nachkommen ihre Geschichte zu erzählen. Vielleicht ging der Schriftstellerin dieser Fund etwas zu nah, denn im Gegensatz zu ihrem Debüt „Relax“ ist Hennig von Lange hier nicht in die Vollen gegangen. „Die karierten Mädchen“ bietet trotzdem sehr gute Unterhaltung: nicht mehr, aber auch echt nicht weniger.
„Die karierten Mädchen“ von Alexa Hennig von Lange ist im Dumont Buchverlag erschienen und als Hardcover für 22 Euro im Handel erhältlich.

Ian Kershaw: Der Mensch und die Macht
Wir leben in schwierigen Zeiten – aber mit diesem Gefühl kämpften schon Generationen vor uns. Neben den Klimakatastrophen sind es oft Machtmenschen, die Angst verbreiten, aber manchmal auch die Welt zum Guten verändern. Der Historiker Ian Kershaw hilft uns, sie zu verstehen: Warum zog ausgerechnet Lenin an allen möglichen Revolutionsführern vorbei? Wie konnte aus einem verarmten Postkartenmaler Adolf Hitler der brutale Diktator werden? Was trieb Margaret Thatcher an? Welchen Einfluss hatte die Pfalz auf Helmut Kohl? Kershaw ist kein Kartenleger, sondern Wissenschaftler. Seine klare Sprache bringt Fakten auf den Punkt und zeichnet uns zugleich ein persönliches Bild der „Erbauer und Zerstörer Europas im 20. Jahrhundert“. Am Ende des Buchs ist man sehr viel schlauer.
„Der Mensch und die Macht. Über Erbauer und Zerstörer Europas im 20. Jahrhundert“ von Ian Kershaw ist bei der DVA erschienen und als Hardcover für 36 Euro im Handel erhältlich.

Stephen King: Fairy Tale
Wenn der Meister des Horrors ein Märchen schreibt, kann man davon ausgehen, dass es nicht um liebreizende Prinzessinnen geht, die von edlen Prinzen gerettet werden: Die Hauptfigur Charlie ist kein Held. Der 17-Jährige ist bei seinem alkoholsüchtigen Vater aufgewachsen, seine Mutter starb früh. Ein Haushaltsunfall führt den Jungen mit dem verschrobenen Nachbarn Mr. Bowditch zusammen. Erst als der auf dem Sterbebett Charlie von der Märchenwelt Empis berichtet, wandelt sich der Coming-of-Age-Roman in eine King’sche Fairy Tale. Es ist ein sehr emotionales Werk, das natürlich mit Spannung und Schrecken spielt. „Fairy Tale“ mixt Genres, statt nur auf blanken Horror zu setzen, und gerade deswegen passt es in diese Top-Liste.
„Fairy Tale“ von Stephen King ist im Heyne Verlag erschienen und als Hardcover für 28 Euro im Handel erhältlich.

Alena Schröder: Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid
Alt trifft Jung: In diesem Roman mit dem stimmungsvollen Titel „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ von Alena Schröder wird die Vergangenheit zum Dreh- und Angelpunkt einer vier Generationengeschichte. Dabei ist ein Brief aus Israel, in dem Hannahs Großmutter als Erbin eines verloren geglaubten Kunstvermögens benannt wird. Während Hannah nun alles in Erfahrung bringen will, was ihre Familie vor ihr geheim hält, ärgert sich Evelyn, den Brief nicht gleich vernichtet zu haben. Trotz der heftigen Themen – von der Nazi-Zeit über schwierige Mutter-Tochter-Verhältnisse, ist der schwungvolle Roman angenehm zu lesen und fast durchgehend spannend.
„Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ von Alena Schröder ist bei dtv erschienen und als Hardcover für 22 Euro im Handel erhältlich.

Amanda Svensson: Ein System, so schön, dass es dich blendet
Im Jahr des Mauerfalls werden die Drillinge Sebastian, Clara und Matilda in Schweden geboren. Sie entwickeln sich ganz unterschiedlich und ziehen Jahre später weit auseinander. Während Clara auf die Osterinseln reist, um über eine Kommune zu berichten, zieht es Sebastian ans Institut für kognitive Wissenschaften nach London und Matilda flüchtet sich als bipolare Synästhetikerin in ein ganz normales Leben nach Berlin. Als ihre Mutter, eine evangelische Pfarrerin, gesteht, dass ein Drilling nach der Geburt mit einem fremden Kind vertauscht wurde, gerät alles aus den Fugen. Jedes Kind fragt sich, ob es selbst gar nicht wirklich zur Familie gehört. Allein wie gekonnt Amanda Svensson die verschiedenen Erzählstränge verbindet und löst, macht das Buch lesenswert. Nicht gleich aufgeben, wenn du mal den Überblick verlierst, die Geschichte holt dich wieder rein.
„Ein System, so schön, dass es dich blendet“ von Amanda Svensson ist im btb Verlag erschienen und als Taschenbuch für 13 Euro im Handel erhältlich.

Joachim Meyerhoff: Hamster im hinteren Stromgebiet
Joachim Meyerhoff muss man nicht empfehlen, es sollte sich herumgesprochen haben, dass der Schauspieler einen hervorragenden Schreibstil hat und emotionale Geschichten aus seinem Leben in extrem unterhaltsame Romane packt. In diesem Werk, das endlich als Taschenbuch erschienen ist, wendet sich Meyerhoff nicht in die weit entfernte Vergangenheit, sondern er verarbeitet einen Schlaganfall, der jüngst sein Leben ausgebremst hat. Die Mischung aus Tragik und Komik, die uns in allen Werken erfreut und mitgerissen hat, bekommt hier eine besondere Tiefe. Zum Glück gab es für Joachim Meyerhoff im wahren Leben ein Happy End: Er steht wieder auf der Bühne und ist dort so agil wie mitreißend. Davon kannst du dich an der Berliner Schaubühne selbst überzeugen.
„Hamster im hinteren Stromgebiet“ von Joachim Meyerhoff ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen und als Taschenbuch für 12 Euro im Handel erhältlich.