Das Café Sibylle beherbergt nicht nur hungrige und wissensdurstige Menschen, sondern auch Geschichte: Gegründet 1953, musste das Café nach der Wende schließen und wurde nach der Jahrtausendwende unter dem gleichen Namen wiedereröffnet mit einer, vom Bezirk mitfinanzierten, Ausstellung zur Karl-Marx-Allee (früher Stalinallee). Das Café ist heute ein Ort für Gastronomie und Kultur, an dem oft Jubiläen älterer, ehemaliger DDR-Bürger gefeiert werden, die den Ort noch von früher kennen. Trotzdem musste das Café Sibylle am 1. April diesen Jahres wegen Geldnot schließen. Neben dem Erhalt des Cafés insgesamt stand vor allem der Fortbestand der Ausstellung zur Geschichte der Stalinallee in den Räumen besonders im Fokus.
Zwar hatte das Berufsförderungswerk Bekleidung Berlin (BUF) als Hauptmieter dem Café Sibylle bereits im November 2017 eine Vertragsverlängerung über fünf Jahre angeboten – jedoch nur unter gewissen Bedingungen. So wurde neben einer moderaten Mieterhöhung auch eine Spende um die 50.000 Euro an das BUF verlangt. Eine erzwungene Spende ist natürlich keine Spende mehr, sondern eher Erpressung, wie auch Pächter und Bezirksverordneten öffentlich andeuteten. Das Motiv für die eingeforderte „Spende“ ist inzwischen geklärt – das BUF stellte später einen Insolvenzantrag.
So wurde am 27. Februar in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) über die Anfragen von Linkspartei, SPD und CDU diskutiert, ob und wie man das Café Sibylle mitsamt Ausstellung erhalten könne. Die Situation ist kompliziert: Das BUF als Hauptmieter vermietete das Café Sibylle an den Betreiber Uwe Radack unter. Das Haus gehört aber eigentlich der Predac Hausverwaltung, die einen Vertrag mit dem BUF hat. Letzteres hatte wegen des schlechten Verhältnisses zu Radack wohl schon länger vor, einen neuen Mieter zu finden – doch das erübrigt sich nun mit der Insolvenz des Bildungsnetzwerks.
Kaffee-Geschichte(n) aus Ostberlin gerettet
Das Café Sibylle steht schon lange an dieser, einst prächtigen, Allee in Friedrichshain und hat über drei Jahrzehnte DDR-Geschichte erlebt. Laut dem Pächter Peter Schröder ist es außerdem auch das letzte erhaltene Geschäft aus der DDR-Zeit an der Karl-Marx-Allee. Früher hieß der Laden Milchtrinkhalle und war ein Eiscafé, in den 60ern wurde es auf Wunsch der Politik umbenannt in Sibylle, nach einer in der DDR sehr beliebten Frauenzeitschrift. Angeblich trafen sich deren Redakteure, Models und Fotografen gerne hier, was vermuten lässt, dass das Café sehr hip gewesen ist.
Jörg Haspel, der Landeskonservator bestätigt das gegenüber der MAZ: „In der DDR war das Café eine zentrale Adresse.“ Er beschreibt die Karl-Marx-Allee als so etwas wie das Schaufenster des Ostens in der DDR – nicht nur architektonisch, sondern auch wegen der angebotenen, exklusiven Waren. Heute hat das Café Sibylle vielleicht seinen Glanz verloren und auch seinen Kultstatus, nicht aber seine Bedeutung für den Bezirk als Standort für Ausstellung, Kultur und Gastronomie. Der neue Mieter des Cafés ist laut Medienberichten „Puk a Malta“ (portugiesisch „Für die Menschen aus dem Kiez“), ein Bildungsträger aus dem Wedding. Dessen Mitarbeiter Andreas Schneider ist der neue Chef des Café Sibylle und wird dort künftig Berliner Küche mit modernem Twist anbieten. Für den Weiterbetrieb der Ausstellung im Lokal kommt der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg auf. Die Geschichte des Café Sibylle wird also weitergeschrieben.