Carlo Chatrian, künstlerischer Leiter des Filmestivals Locarno war schon seit ein paar Tagen als neuer Berlinale-Chef gehandelt worden. Aber er ganz alleine an der Spitze? Diese Frage geisterte am Freitagnachmittag noch etwas im Raum, schließlich wurden Namen wie Kirsten Niehuus (Geschäftsführerin der Filmförderung Medienboard Berlin-Brandenburg), Maria Köpf (Leiterin der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein) oder Anne Leppin (Geschäftsführerin der Deutschen Filmakademie) im Vorfeld heiß gehandelt.
Kosslicks Posten geht an eine Frau
Um kurz vor 15 Uhr machte es Kulturminsterin Monika Grütters (CDU) dann offiziell: Chatrian wird 2020 künstlerischer Leiter der Berlinale und Mariette Rissenbeek, die bisher den German Films vorstand, übernimmt den Posten der Geschäftsführerin. Damit ist die Niederländerin Rissenbeek die offizielle Nachfolgerin von Dieter Kosslick, da Chatrians Posten neu hinzugefügt wurde, stellt Grütters klar. Während Chatrian sich um ein gutes Programm bemühen soll, hat Rissenbeek zukünftig das Geld in der Hand. Zu ihren Aufgaben gehört laut Grütters die Budgetverantwortung sowie die Organisation der Festivallogistik. Um Sponsoren sollen sie sich beide kümmern.
„40 Plus Gespräche wurden geführt“, sagte Grütters, um den Umfang und die Langwierigkeit des vorangegangenen Auswahlverfahrens zu betonen. Chatrian und Rissenbeek seien ohne Gegenstimme bestätigt worden. Dabei ist Rissenbeeks Benennung nicht ganz unstrittig, schließlich war sie nicht Kandidatin, sondern Teil der Findungskommission, die das passende Personal für die Stelle suchte.
Es sei ihre umfangreiche Erfahrung im Bereich Filmverleih und -vertrieb sowie ihre nationale und internationale Vernetzung, die für Rissenbeek spreche, so Grütters zu der Benennung. Klar ist, Rissenbeek kennt sich in der deutschen Filmszene aus, schließlich gehörte es bei German Films zu ihren Aufgaben, diese in anderen Ländern zu zeigen.
Und Chatrian? Der Filmfan und Filmenthusiast verspricht eine interessante Arthouse-Filmauswahl mit vielen Schätzen, denn er hat Talente wie den spanischen Regisseur Albert Serra oder den Südkoreaner Hong Sang-Soo früh auf dem Plan gehabt. Interessant wird natürlich, wie das Zusammenspiel zwischen Chatrian und Rissenbeek funktioniert. Geben sie sich Raum, unterstützen sie sich, wenn nötig und ergänzen sie sich da, wo sie ihre Kompetenzen bündeln können? Chatrians Einstellung scheint schon mal zu stimmen. Schließlich betont er: „Die Arbeit an einem Festival ist wie beim Film, die Arbeit von einer Gruppe von Menschen.“ Chatrians Ära beginnt ab März 2019, wobei er klar stellt, dass die Berlinale 2019 komplett von Dieter Kosslick geleitet wird, ganz ohne Einmischung. Ihm zufolge will er sich nicht zu möglichen Änderungen der Berlinale ab 2020 äußern, sondern sich erst auf das Erlernen der deutschen Sprache und auf die Eingewöhungszeit konzentrieren.
Die Doppelspitze ist ein klares Zeichen, dass andere internationale Festivalmodelle wie das in Cannes als Vorbild genommen wurden und auch eine weibliche Festivalleitung lässt den Kurs auf Fortschritt und Umsetzung von gesellschaftlichen Debatten um die Gleichberechtigung ablesen. Das sind schon mal keine schlechten Voraussetzungen. Der Rest wird sich 2020 ergeben.