Chiharu Shiota wurde 1972 in Osaka (Japan) geboren. Mit 21 Jahren zog es sie in die Welt hinaus. Sie studierte Kunst in Australien und Deutschland. 1996 ging sie nach Berlin und begann ab 1999 ein Studium an der Universität der Künste. Von 2010 bis 2013 nahm sie eine Gastprofessorenstelle in Kyoto an. In Berlin arbeitet sie in einem Atelier in Wedding. In ihre außergewöhnlichen Fadenwelten nimmt sie gerne Gegenstände auf, wie Schlüssel, Schuhe, ein Klavier oder Boote. In Brüssel webte sie sogar Betten mit schlafenden Menschen ein. Wir sprachen mit der außergewöhnlichen Performance- und Installations-Künstlerin.
QIEZ: Deine Ausstellung Uncertain Journey ist sehr faszinierend. Wie lange hast du gebraucht, um die ganzen Fäden anzubringen?
Chiharu Shiota: Es hat ungefähr zwei Wochen gedauert. Ich hatte aber Hilfe, da der Raum sehr groß ist.
Bei meinem Besuch konnte ich einige geometrische Formen erkennen. Kannst du uns deine Arbeitsweise erklären?
Ich webe die Fäden und orientiere mich dabei an einem Dreiecks-Muster. Es ist ein wenig so, als wenn man Linien in der Luft zeichnet.
Wie viel Faden hast du für deine Installation benötigt?
Es kommt immer auf die Installation an, aber zum Beispiel für The Key in the Hand, die ich auf der Biennale in Venedig 2015 gezeigt habe, benötigte ich 400 Kilometer Faden. Für die Ausstellung in Berlin waren es 360 Kilometer.
Wann wusstest du, dass du genau dieses Material benutzen willst und warum hast du dich dafür entschieden?
Das Gewebe erlaubt mir Atem und Raum wie eine Linie in einer Zeichnung zu verstehen und zu entdecken. Eine Ansammlung von schwarzen Fäden bildet eine Oberfläche. Anschließend kann ich unbegrenzt Räume erstellen, die sich schrittweise ausbreiten und schließlich ein ganzes Universum abbilden. Wenn ich merke, dass ich ein Kunstobjekt oder eine Fadeninstallation mit meinem Auge nicht mehr in seine Einzelteile zerlegen kann, dann fühlt es sich komplett an. Ich bin davon überzeugt, dass die Essenz eines Kunstobjekts erst zutage kommt, wenn man es nicht mehr länger mit dem Auge sehen kann. Zu deiner zweiten Frage noch mal: Ich habe zunächst als Malerin gearbeitet. Aber ich fühlte mich eingeschränkt, da ich nur die zweidimensionale Leinwand nutzen konnte. Dann fing ich an, Linien in die Luft zu malen und ich wusste, dass ich meine Linien erweitern will in einen unbegrenzten Raum.
Bist du traurig, wenn du alle Fäden zerschneidest, obwohl du daran so hart gearbeitet hast?
Nein, eigentlich nicht. Ich weiß, dass die Ausstellung im Gedächtnis der Besucher weiter lebt.
Was inspiriert dich?
Ich bekomme sehr viele Ideen, wenn ich reise. Aber auch ein Spaziergang hilft dabei oder wenn ich einfach meinen Alltag gestalte.
Wo arbeitest du in Berlin und warum magst du es gerade hier als Künstlerin zu leben?
Ich arbeite in einem historischen Gebäude. Ich mag es hier zu arbeiten und zu leben, weil ich hier die Freiheit habe, zu tun, was immer ich möchte. Ich liebe es, wie weltoffen die Stadt ist und der Mix aus Kulturen gefällt mir. Es ist eine inspirierende und bereichernde Stadt.
Du warst Schülerin der Performancekünstlerin Marina Abramović. Sie macht unglaubliche Dinge mit ihrem Körper. So ritzte sie sich zum Beispiel einen Stern in den Bauch oder legte sich auf einen Eisblock. Diese intensiven körperlichen Auseinandersetzungen transformiert sie zu Kunst. Was würdest du sagen, hast du von ihr gelernt?
Marina hat meine Wahrnehmung von Zeit verändert. Sie hat mir beigebracht, Zeit mithilfe der Zen-Philosophie zu verstehen. Ich bin nach meiner Arbeit mit Marina wieder nach Japan zurückgekehrt und habe diese Lehre vertieft. Also durch Marina wurde ich daran erinnert, was ich eigentlich schon aus meiner Heimat kannte, da diese Philosophie Teil unserer Kultur ist. Sie war aber mehr eine Künstlerin für mich als eine Lehrerin.
Wie ist die erste Begegnung zustande gekommen?
Das ist eine besondere Geschichte. Ich wollte mich bei Magdalena Abakanowicz (Anm. d. Red.: polnische Bildhauerin) bewerben, da ein Freund von mir sie kannte. Aber ich habe ihren Namen nicht richtig verstanden. Am Ende habe ich mich dann bei Marina Abramović beworben. Es war also ein völliger Zufall und einfach nur, weil ich die Namen vertauscht habe.
Gibt es denn schon nächste Projekte und wirst du auch bald wieder in Berlin ausstellen?
Ich werde im nächsten Jahr mehr als 19 Ausstellungen auf der ganzen Welt machen. Die nächste Ausstellung ist im Dezember in Tel Aviv. Dort werde ich eine Fadeninstallation zeigen, in die ich eine Treppe integriert habe. Für Berlin ist bis jetzt noch nichts geplant, aber wer weiß…
Uncertain Journey ist noch bis 12. November im Blain Southern zu sehen. Die Ausstellung ist kostenlos.