Ständig versorgen wir dich mit Neueröffnungen, berichten über Trends und den heißen Scheiß von morgen. Berlin wirkt lebendig und doch riecht es an allen Ecken plötzlich nach Untergang. Vielleicht kommt es uns nur so vor, aber 2018 war das Jahr der Schließungen. Nicht mal dreißig Jahre ist es her, da wehte hier ein ganz anderer Wind. Es waren die Zeiten des Aufbruchs. Durch die vielen neuen Möglichkeiten, die der Mauerfall für Berlin mit sich brachte, wuchs die einst geteilte Stadt zur spannenden Metropole heran.
Mitten in Mitte
Genau damals, als Mitte noch als heruntergekommen galt und Touristen sich kaum am (heute geräumten) Tacheles vorbeitrauten, eröffnete das Café Orange neben der Synagoge. Gut 25 Jahre später ist die Oranienburger zur Touri-Meile verkommen, die kaum noch etwas mit der kultigen Straße der 1990er Jahre zu tun hat. Bezeichnend, dass das Café Orange als eine der letzten Institutionen, die das Mitte-Bild geprägt hatten, im Oktober aufgeben musste, weil selbst ein gut laufender Gastro-Betrieb die steigenden Kosten hier nicht mehr tragen kann. Ach ja, die Mietpreise: In das Wehklagen der Wohnungssuchenden und -mieter stimmen etliche Hauptstadtgastronomen längst mit ein.
Die jüngsten Opfer
Wenn die Grenzen legaler Mieterhöhungen erreicht sind, werden Kündigungen mit kreativen Begründungen ausgesprochen. Die Rechtswege sind unergründlich, aber führen die Immobilienbesitzer fast immer zum Erfolg. Egal ob Johnny Knüppel oder das Bassy, das Café Rizz oder das Rosi’s, kein Hotspot bleibt verschont, selbst wenn er sich bemüht, allen Auflagen gerecht zu werden. Die beiden jüngsten Aufgeber trafen uns am Ende des Jahres ins weihnachtlich-sentimentale Herz: Das Café Rizz stand 30 Jahre beständig für das wahre Kreuzberg hinter dem Hype, und das Rosi’s hat Silvester noch einmal bewiesen, dass man kein mainstreamiges Label braucht, um großartige Partys feiern zu können. Geholfen hat unsere Trauer nicht, genauso wenig wie unsere Unterschriften oder Proteste für andere Clubs. Was weg ist, ist weg.
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Sehr still verschwand die Kapelle am Zionskirchplatz. Auch sie wurde in der Nachwendeumbruchzeit eröffnet und hielt sich seither als zuverlässige Konstante in unserem Leben. Tag und Nacht. So ganz klar ist noch immer nicht, warum sie geschlossen wurde. Neben der stetig steigenden Miete soll es zu viel Arbeit für das Betreiberpaar geworden sein. Denn gutes Personal ist in Berlin leider Mangelware. Das fanden auch die St. Mauli-Jungs, die in Friedrichshain nach vier Jahren das Handtuch warfen. Außerdem war es einfach zu aufwendig und wenig gewinnbringend, beste Qualität zum kleinen Preis zu bieten.
Keine Lust mehr
Genug vom Berliner Nachtleben hatte auch Ernst Voß, der mit seinem Nachtschwärmer bei Ernst im Sprengelkiez die unterschiedlichsten Gäste zu später Stunde glücklich machte. Ihm reichte es nach 43 Jahren in der Gastronomie. Deutlich weniger Jahre auf dem Buckel hatte das ResOtto in direkter Nachbarschaft. Und dennoch wollten Otto und Theresa nicht länger Bier und Suppen unter das Berliner Volk bringen. Sie flohen aufs Land. Die Fredericks-Macher im Wedding konnten den Verfall der Immobilie nicht länger aufhalten, in der sich ihr Lokal befand. Als sie ohne Strom und Wasser dastanden, half nur noch dichtmachen.
Kein Erfolgsrezept auf Dauer
Die E4-Betreiber schrieben in ihrer Closing-Einladung, dass sie nach weniger als zehn Jahren mit mehr Geld als sie jemals ausgeben könnten die Pforten für immer schließen würden. Seit einem Monat sind sie Partygeschichte, ohne dass wir fragen konnten, ob sie wirklich die einzigen in Berlin sind, die wegen Reichtum verschwunden sind. Selbst erfolgsverwöhnte Gastronomen müssen nämlich Schlappen einstecken: Wer hätte gedacht, dass sich The Duc Ngo unter die Schließer einreihen muss? Der König von der Kantstraße scheiterte mit seinem veganen TOKI the white rabbit – vermutlich leitete der Name die Fans in die falsche Richtung, weil er irgendwas zwischen Jägerstube und Alice im Wunderland verspricht. Angeblich will The Duc Ngo gucken, wie in anderen Bezirken der Hase unter gleichem Konzept läuft. Wir werden berichten.
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Am seidenen Faden hängt das Nachtleben im Hafen und im Syndikat. Die Regenbogenzuflucht in Schöneberg war auch für Heteros immer offen. Die große Sause Anfang Januar zeigte noch mal, was uns fehlen wird, wenn sich die letzten Rettungschancen als Nullnummern erweisen. Im Syndikat geht man weiter auf Konfrontationskurs, nachdem alle Versuche, die Immobilienhaie aus London per Post und höchstpersönlich aufzuhalten, scheiterten. Ein Kellner weigerte sich die Schlüssel zum Lokal abzugeben, so bleiben die Türen für die Gäste offen, die solidarisch Abend für Abend weitertrinken. Um Gelder aus dem neuen Hilfsfond des Senats, für Umbauten zur Schalldämpfung, bitten Größen wie das SO36, das Ipse, der Holzmarkt und weitere. Eine krude Rettung gab es wohl für das Café Sibylle. Angeblich erhält die neue Betreiberin 2000 Euro im Monat als Stütze für eine Ausstellung vom Bezirk, worüber sich der Ex des DDR-Kultlokals empört. Ja, er spricht im Berliner Kurier sogar von Subventionsbetrug. Der Fall bedarf noch weiterer Klärung. Schlecht sieht es für das Yaam, den Privatclub und den Farbfernseher aus.
Clubs für immer geschlossen
Einige Cafés bleiben uns immer in Erinnerung allein wegen ihrer Schließung. Wie das Café Niesen: Kult soll es gewesen sein und doch waren wir nie da. Und nachdem der Rammstein-Frontmann Till Lindemann als Hausbesitzer den Vertrag nicht verlängern wollte, gab es Stunk vom Feinsten. Weil die Wirtin sich als Opfer darstellte, platzte Lindemanns Dauer-Ex Sophia Thomalla via Insta in den Konflikt und schon ging es wortreich und bedrohlich in die Vollen. Nun ist es zu, genau wie der Haferkater in Friedrichshain, Frituur de Molen, Prinzinger, Café der Fragen, Filou, Bar Babette, Swissôtel, Weltrestaurant, Fliegender Tisch, Studio 7, Feiner Hubert, Café Godot, Fränkla, 12 Apostel, Fellfisch, IPA-Bar, Godot und viele mehr…
Zukunft Berlins
Für das neue Jahr nehmen wir uns vor, alles besser zu machen. Damit stehen wir sicher nicht allein da, gute Vorsätze liegen im Januar doch voll im Trend. Aber was heißt das? Alle, die sich nach dem Berlin zurücksehnen, in dem alles möglich war, müssen zusammenstehen. Es fängt bei euren Mietverträgen an. Wehrt euch gegen unlautere Erhöhungen und schräge Betriebskostenabrechnungen, lasst euch keine Angst machen, geht aus und lasst es euch gut gehen, steht zu euren Lieblingslokalen und sucht nicht ständig neue. Wenn es euch zu laut wird in der Nachbarschaft, zieht an den Stadtrand. Und wenn ihr neue Büroräume braucht, baut keine neuen, sondern mietet welche, die sowieso leer stehen, und wenn ihr meint, die Politik versagt, geht auf die Straße, und wenn ihr meint, die Rathäuser sind schlecht besetzt, geht wählen, und wenn ihr doch Abschied nehmen müsst, behaltet das Vergangene in bester Erinnerung. Zusammen können wir Berlin als liebenswerte Metropole noch retten. Prost!