„Ich liebe es, stundenlang in einem Café zu sitzen, Zeitung zu lesen und zu schreiben. In den USA gibt es keine Zeitungen umsonst und bevor du ausgetrunken hast, bringen sie dir schon die Rechnung – ‚Danke, Tschüss!'“ Diese Lebensqualität, es sich mit einer Schale Milchkaffee am Straßenrand gemütlich zu machen, ist ein Grund, warum die in New York ausgebildete Schauspielerin, Sängerin und Entertainerin nach Europa, genauer, nach Berlin gezogen ist. Und in ihrem „little Dorf“ Schöneberg, wie sie ihre neue Gegend lächelnd nennt, findet sie heute viel von dieser Lebensqualität.
Vom Big Apple ging es aber nicht direkt hierher, sondern erst mal nach Kreuzberg. In den Neunzigern zog sie dort im Bergmannkiez, lange bevor der zum Szeneviertel wurde, in eine Wohnung über dem ehemaligen KAMA-Theater. Etwa zehn Jahre wohnte Tufts in der Nähe der Columbiahalle. „Ich habe diesen Kiez geliebt!“ erzählt sie nostalgisch. Als dann ein Club in die Räume des Theaters einzog und die ganze Nacht laut Scooter und Scooter-ähnliche Musik spielte, schaute sie sich mit ihrem Mann nach etwas Neuem um. Das war vor acht Jahren, als in der Gegend gerade überall die Mieten stiegen. Durch Freunde fanden sie eine schöne Altbauwohnung in Schöneberg – „gutbürgerlich bis zum Abwinken“, lacht die ehemalige Kreuzbergerin.
Lieblingsplätze in Natur und Großstadt
„Aber es ist wirklich schön hier und ich vermisse es auch nicht. Ich brauche nicht mehr the nightlife“. Man merkt, dass Gayle Tufts – auch mit ihrem charakteristischen „Denglish“, ihrem Mix aus Deutsch und Englisch – in dieser Stadt tief verwurzelt ist und hier wie die meisten BerlinerInnen lebt. Das beinhaltet auch, über steigende Mieten das Gesicht zu verziehen, darauf zu bestehen, dass Berlin schon immer cool war und es auch immer bleiben wird – egal was der Rolling Stone sagt – und sich von dem Trubel im nächsten Park oder am See auszuruhen.
Wenn sie von Tourneen und Auftritten nach Hause kommt, mag sie das eher ruhige Leben in Schöneberg und hat als Kiez-Kennerin auch einen Geheimtipp für uns: die Kantine im Rathaus Schöneberg. Für drei bis fünf Euro bekommt man da in historischer Atmosphäre eine gute warme Mahlzeit. „Dort sieht es aus, als wär die Zeit stehen geblieben. Jeden Moment denke ich, Oh my God, da kommt gleich Willy Brandt um die Ecke!“
Vor dem Rathaus war es übrigens auch, wo John F. Kennedy 1963 seine berühmte Rede hielt und erklärte: „Ich bin ein Berliner!“, wie Tufts beeindruckt zitiert. Dienstags und freitags geht die Amerikanerin hier gern zum Wochenmarkt: „Ganz in der Nähe von dem Ort wo Kennedy stand, das ist schon faszinierend.“ Mit Berlins Geschichte kennt sie sich sehr gut aus: „Ich wohne ja auch schon seit 23 Jahren hier und liebe diese Stadt dumm und dämlich.“
Über das Schöneberg der 60er und 70er Jahre erfuhr sie von einer alten Dame, die sie oft in einem Café am Bayerischen Platz, das es heute leider nicht mehr gibt, traf. „Sie saß immer gut gekleidet, in Chanel, mit Handschuhen und einem Hut an einem Tisch. So wie man es früher machte. Aber immer zur Saison passend.“ Irgendwann kamen sie ins Gespräch und die Dame erzählte vom früheren Leben in Schöneberg, als der Bezirk noch zu den angesagtesten Ausgehvierteln zählte. Der Bayerische Platz war sozusagen der heutige Kollwitzplatz.
Mittlerweile ist hier nicht mehr so viel los, aber Gayle Tufts kommt trotzdem noch oft an den Platz. Auch weil sie sich hier bei der Schustermeisterin von Schuhpflege des Westens alle Schuhe bühnenreif machen lässt. „Das ist fantastisch, die halten dann 360 Shows. Das ist leider eine fast verlorene Kunst.“ Bevor es auf die Bühne geht, schont sie ihre Stimme einen Tag lang – gern bei einem der vielen Tees in der Goltzstraße bei Tee Tea Thé. Am Abend der Premiere bringt sie ihrem Team dann eine Kleinigkeit aus dem leckeren Schokoladengeschäft Das süße Leben mit, „da freuen sich immer alle.“
Eine Berlinerin unter vielen
Auch als Prominente lässt es sich hier gut leben. Besonders seitdem sie Gast bei Florian Silbereisen war, wird sie öfter von den älteren Menschen im Kiez erkannt, erzählt sie schmunzelnd. „Die klopfen mir dann manchmal auf die Schulter und sagen ‚dit war aber toll, hast du aber schön gesungen.'“ Aber alles sehr freundschaftlich, von MitbürgerIn zu Mitbürgerin. „Hier fühle ich mich als echte Berlinerin. Ich werde nie deutsch sein, aber ich bin Berlinerin – und werde es auch immer bleiben.“
Noch bis zum 4. Mai ist Gayle Tufts im TIPI am Kanzleramt mit ihrer neuen Show „Love!“ zu sehen. Mehr Infos gibt es hier.