Sie gehören definitiv zu unseren Alltagsheld*innen in der aktuellen Corona-Ausnahmesituation: All die Menschen, die im Supermarkt arbeiten und jeden Tag für uns da sind. Wir haben mit einer von ihnen gesprochen …
QIEZ: Wer bist du und wie hast du die vergangenen Tage erlebt?
„Ich bin Lisa und arbeite in der Obst- und Gemüseabteilung in einem großen Supermarkt. Ich bin auch für die Bestellungen zuständig. Ende März war es bei uns im Vergleich zu den Wochen davor ziemlich ruhig. Das lag wahrscheinlich daran, dass strengere Kontaktverbote ausgesprochen wurden und die Leute am Monatsende ihr Geld bereits für Hamsterkäufe ausgegeben haben. Richtig verrückt wurde es, nachdem die ersten Fälle vor Ort bekannt wurden. Dann startete der Run auf Lebensmittel wie Nudeln, Aufbackbrötchen, Mehl, Hefe, H-Milch und natürlich das heiß begehrte Klopapier. Wir haben vor vier Wochen Rekordsummen umgesetzt, mehr als an Weihnachten, Ostern und Silvester zusammen. Da lassen direkt mehrere Kunden am Tag 500 Euro für ihren Wocheneinkauf bei uns.“
Hat sich das Kundenverhältnis deshalb geändert?
„Auf jeden Fall! Die Kunden sind zunehmend aggressiver geworden und handeln extrem irrational. Wir werden beschimpft und bedrängt, weil die Regale nicht voll sind. Aber das hilft natürlich nichts, denn mehr als nachbestellen können wir nicht. Da allerdings auch unsere Lieferant*innen aktuell Lieferengpässe haben und die Lieferkette wegen mangelnder LkW-Fahrer*innen oft unterbrochen ist, kommt nicht so viel nach wie geordert. Ich bestelle z.B. vier Paletten Erdbeeren und es kommen nur zwei. Gepaart mit den Hamsterkäufen sorgt das dann natürlich dafür, dass die Regale mal drei Tage leerstehen. Gerade deshalb möchte ich an dieser Stelle nochmal ausdrücklich betonen, dass es weiterhin Lebensmittel geben wird und niemand verhungern muss. Wenn also jede/r weiter so einkaufen würde wie vor der Krise, gäbe es auch keine leeren Regale. Ständig müssen wir darauf hinweisen, was handelsübliche Mengen sind, obwohl es überall im Markt ausgeschrieben ist. An der Kasse hören wir dann Sätze wie: ‚Wenn ich die sechs Päckchen Nudeln nicht kaufen darf, dann schicke ich eben nachher meine Tochter vorbei.‘ Dabei sehen viele nicht, dass die Beschränkungen keine Strafe sein sollen, sondern die Absicht dahinter steckt, die Lebensmittel möglichst fair auf viele Personen zu verteilen. Es kann sich nun mal nicht jede/r einen Hamsterkauf leisten oder Großeinkäufe nach Hause transportieren.“
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Was ist das Heftigste, das du in letzter Zeit erlebt hast?
„Also, ich habe auf jeden Fall Verständnis für die Angst und Unsicherheit der Leute und versuche deshalb, so freundlich und entspannt wie immer zu bleiben. Leider beruht das Verständnis bei vielen Kunden nicht auf Gegenseitigkeit. Viele sind aufdringlicher und ungeduldiger als sonst. Kunden, die täglich bei uns reinkommen und mit denen ich gewöhnlich auch Unterhaltungen führe, brüllen uns jetzt an und werfen uns sogar vor, Ware zurückzuhalten. Denen werde ich nach der Pandemie keinen guten Morgen mehr wünschen (lacht). Da wir bereits um 7 Uhr öffnen, liegt meistens noch nicht das gesamte Sortiment draußen. Deshalb sagte eine Kundin zu mir: ‚Wenn ihr es bis 7 Uhr nicht schafft, müsst ihr eben um 4 Uhr anfangen, zu arbeiten. Bei euch braucht man morgens noch nicht kommen.‘ Dabei würde ich ihr die gewünschten Bio-Bananen direkt holen, wenn sie danach fragt. Das ist allerdings nichts gegen das, was meine Kolleginnen an der Kasse erleben. Neulich wurde eine von ihnen bespuckt, weil sie einen Kunden darauf hinwies, dass fünf Pakete Mehl nicht der handelsüblichen Menge entsprechen und er drei zurücklegen müsse. Mir macht deshalb vor allem die Ungewissheit Angst, wie lange es noch so weitergehen soll, denn wenn die Belastungsgrenze bereits jetzt bei vielen so niedrig ist, möchte ich die Entwicklung in einigen Wochen lieber nicht erleben. Aber wir bekommen auch ganz viel Zuspruch und teilweise auch Geschenke wie Sekt oder Schokolade. Es zeigt sich uns gerade sehr deutlich, wer zivilisiert und verständnisvoll ist und wer einen Ego-Trip fährt.“
Wie schützt du dich?
„Unser Geschäftsführer sorgt so gut es geht für unsere Sicherheit und dazu gehört auch die Sicherheit der Kund*innen. Vorm Eingang steht Sicherheitspersonal, das kontrolliert nur 40 Personen gleichzeitig in den Markt lässt. Das ist zwar relativ viel, aber wir haben auch eine große Ladenfläche. Jede/r muss einen Einkaufswagen nehmen und sollte sich möglichst viel daran aufhalten, um den Mindestabstand zu gewährleisten. Die 40 markierten Wägen werden desinfiziert und auch die Kunden werden gebeten, ihre Hände einzusprühen. Gezwungen wird natürlich niemand. Der Boden ist in 1,5-Meter-Abständen abgeklebt und die Kassen sind mit Folien verhangen. In der Obstabteilung trage ich Einmalhandschuhe und auch die Kund*innen werden darauf verwiesen, diese anzuziehen. Das sorgt zwar für viel Protest, aber die meisten zeigen dann doch Einsicht. Außerdem haben wir eine Rutsche an der Wursttheke gebaut und jederzeit Zugang zu Desinfektionsmittel sowie Mundschutz. Im Idealfall würde jede/r mit Karte bezahlen, aber gerade wegen der Älteren ist das nicht einheitlich umsetzbar.“
Was forderst du für Berufe in Supermärkten bzw. für deine konkrete Position?
„Ich erhoffe mir, dass die Wichtigkeit meines und anderer systemrelevanten Berufe wie etwa Krankenschwestern stärker wertgeschätzt wird. Und damit meine ich nicht kollektives Klatschen auf dem Balkon. Das ist zwar eine nette Geste, aber gerade in der aktuellen Situation sollte ein angemessener monetärer Ausgleich für den Stress stattfinden, dem wir ausgesetzt sind. Wir im Supermarkt sind ja nicht nur bis an die Grenzen belastet- wir alle arbeiten aktuell sechs volle Tage die Woche -, sondern auch einem größeren Risiko ausgesetzt. Generell sollte es natürlich einen höheren Mindestlohn für diese Service-Berufe geben, die ja vor allem von Frauen ausgeübt werden! Ich habe auch mal in der Pflege gearbeitet und finde es erschreckend, dass jetzt erst auffällt, welche Missstände in dem Bereich herrschen. Dort war der Stress und die psychische Belastung noch extremer, weshalb ich den Job gewechselt habe. Sollte sich die Situation allerdings ändern, würde ich sehr gerne wieder als Pflegerin arbeiten. Daher wünsche ich mir, dass wir etwas Positives aus der Krise ziehen können und sie vielleicht grundlegende Verbesserungen für Pflege- und Reinigungskräfte sowie für Supermarktmitarbeiter*innen hervorbringt.“