Das Kiezsofa

Couch-Talk im Prachtwerk

Moderiert wird das Kiezsofa nun schon seit etwas mehr als einem Jahr von Simon Akstinat und Nadine Kleifges. Für die lokale Talkshow ziehen sie im Monatsrhythmus von Stadtteil zu Stadtteil.
Moderiert wird das Kiezsofa nun schon seit etwas mehr als einem Jahr von Simon Akstinat und Nadine Kleifges. Für die lokale Talkshow ziehen sie im Monatsrhythmus von Stadtteil zu Stadtteil. Zur Foto-Galerie
Ganghofer Kiez – Gut ein Jahr ist es nun her, dass Simon Akstinat und Nadine Kleifges die lokale Talkshow "Das Kiezsofa" ins Leben riefen. Jeden Monat geht es in einen anderen Stadtteil, in dem das Moderatorenpaar jeweils vier Kiezpersönlichkeiten interviewt. Am 23. Februar verursachten die Talkgäste Lachen, Gemurmel und gespannte Stille im Publikum. Ein Erlebnisbericht.

Das Konzept des Kiezsofas scheint gut aufzugehen. Ein volles Haus in der Ganghofer Straße zeugt davon. Und das, obwohl es ein Montagabend ist. Schon eine halbe Stunde vor Beginn der Veranstaltung um 20 Uhr treffen zahlreiche junge und alte Neuköllner im Café Prachtwerk ein, versorgen sich mit einem Bier oder einem Glas Wein und warten in schummriger Kerzenlichtatmosphäre entspannt auf die erste Anmoderation. Auch Kiezsofa-Initiator Simon Akstinat sitzt mit einem Bierchen auf der Couch und geht vorsorglich nochmal durch seine Notizen für den Abend.

Güner Balci. (c)Sophie Maaß

Kaffeekränzchen im Treppenhaus

„Wir machen das Kiezsofa, um die Anonymität der Großstadt aufzubrechen. Wir wollen erreichen, dass sich die Nachbarschaft untereinander verbindet“, erklärt Kleifges gleich zu Beginn den Sinn und Zweck der lokalen Talkshow. Kurz und knackig, kein langes Vorgeplänkel. Dann geht es los mit den ersten Gästen Carlotta-Elena Schulz und Karoline Spring vom wandernden Nachbarschaftscafé „Auf halber Treppe“. Ihr siebenköpfiges Team kommt mit Decken, Kissen, Kuchen und Kaffee in Berliner Mietshäuser und veranstaltet dort im Treppenhaus (auf halber Treppe) gemütliche Treffen zwischen den Nachbarn. Ihre Initiative, die nun zu einem eingetragenen Verein werden soll, entstand in einem Uni-Seminar der HU. „Social Entrepreneurship“ war das übergreifende Thema. Schulz und Spring entschieden sich, dem Problem der Sozialisolation in Nachbarschaften nachzugehen. Seither haben sie schon in vielen Stadtteilen und Kiezen sonntägliche Kaffeerunden vermittelt. „Die Leute nehmen das Angebot dankbar an, allerdings erst, wenn wir ihnen erklärt haben, dass es wirklich nichts kostet und wir auch keine Sekte sind“, so Schulz. Die Hemmschwelle bei den meisten sei doch recht hoch, da man das Team von „Auf halber Treppe“ ja erst einmal zu sich bestellen müsse, ergänzt Spring. Zudem befürchteten viele, dass sie am Ende allein im Treppenhaus dasitzen könnten. „Das ist uns aber noch nie passiert! Bisher kamen immer genug Leute zusammen“, entgegnet Spring fröhlich.

Was sagen die Sterne?

Schon ist die erste halbe Stunde rum, sie verging wie im Flug. Die zwei Moderatoren verstehen es gekonnt, die richtigen Fragen zu stellen und selbst genug in den Hintergrund zu treten, um ihren Gästen Raum zum Erzählen zu geben. So nimmt nun der Astrologe Roger Nikodemus zwischen ihnen auf dem schönen grünen Omasofa Platz. Nikodemus, der sich hauptberuflich mit der Sternendeutung beschäftigt, hat in Vorbereitung auf den Abend die Horoskope von Akstinat und Kleifges erstellt. Dazu brauchte er lediglich ihr Geburtsdatum, -ort und -zeit. Nun legt er vor versammelter Mannschaft die Planeten- und Sternenkonstellationen für sie aus, erklärt, welche Temperamente und Gefühle sie bewegen. Die Moderatoren werden ruhig, wirken etwas verlegen und nicken leicht verunsichert mit den Köpfen. Spätestens aber, als Nikodemus auf das „turbulente Sexleben“ zu sprechen kommt, ist Akstinats Kopf rot wie eine Tomate und das Publikum grölt. Kleifges Neckereien, die ihren Moderationspartner gern etwas stichelt, setzen noch eins drauf. Egal, ob man nun an Astrologie glaubt oder nicht, unterhaltsam ist das Ganze allemal!

Mit Ströbele im Auto

Nach einer 15-minütigen Pause geht es weiter mit der nächsten Interviewpartnerin: Fernsehjournalistin und Buchautorin Güner Balci. Die geborene Neuköllnerin wurde als Migrantentochter im Rollbergviertel groß. „Es war ein wunderbares Aufwachsen dort“, erzählt sie und fügt hinzu, dass es aufgrund der geschlossenen Nachbarschaft ein wenig wie in einem Dorf gewesen sei. Balci hat eine starke Bühnenpräsenz, ihre Stimme klingt melodisch, man versteht, warum sie es im Fernsehen so weit gebracht hat – eine perfekte Talkgastwahl fürs Kiezsofa. Auf die Frage nach ihrer Identität, sagt die Tochter einer türkischen Gastarbeiterfamilie, dass sie sich in erster Linie als Berlinerin sehe. Auch ihre frühere Arbeit in einem Modellprojekt zur Gewaltprävention im Rollbergviertel und ihr Erstlingsroman „Arabboy“ (S. Fischer Verlag, 2008), der ab und an als Theaterstück im Heimathafen Neukölln aufgeführt wird, kommen zur Sprache. Und natürlich haken Akstinat und Kleifges ganz genau nach: „Wie war das damals bei Sandra Maischberger (Talkthema: „Schleier und Scharia: Gehört der Islam zu Deutschland?“, Anm. d. Red.), als du dich mit Ströbele angelegt hast?“ Die Dokumentarfilmerin lacht und erzählt, dass sie sich nach der Show ein Auto mit dem Grünenpolitiker teilte und dann feststellte, dass er viele ihrer Punkte durchaus verstand, diese nur nicht politisch vertreten würde. Mit dem Alter, so sagt sie, sei sie nun aber ruhiger geworden und würde sich nicht mehr so schnell aufregen.

Feministische Pornos

Es folgen Anekdoten zu Gesprächen mit Heinz Buschkowsky und „Onkel Thilo“ Sarrazin. Man könnte Balci noch ewig zuhören, doch es ist Zeit für den letzten Gast des Abends, die Neuköllner Pornoregisseurin Katy, die mit ihrem Künstlerkollektiv „cum different“ Sex auf Augenhöhe darstellen will. Soll heißen, keine Erniedrigung von Frauen und Spaß bei der Sache für alle Beteiligten. Das Publikum im Raum ist skeptisch, viele tuscheln aufgeregt, doch Akstinat und Kleifges moderieren souverän durch die Unruhe und bleiben ihrem Versprechen treu, dass bei ihnen niemand durch den Kakao gezogen wird.

Fazit des Abends: Das bewusst nur „analoge“ Event – es gibt weder eine Übertragung im Internet noch eine Webseite – bringt tatsächlich Menschen von unterschiedlichstem Lokalkolorit zusammen. Die Talks sind authentisch und nicht vorher einstudiert. Alle Gespräche werden individuell geführt, es gibt kein übergreifendes Thema. Gerade deshalb ist das Kiezsofa aber so bunt und unterhaltsam. Eine Geschenketauschbörse und die Frage nach dem Lieblingsort im Stadtteil wirken als verbindende Elemente. Das Publikum hat immer die Gelegenheit, selbst Fragen zu stellen. Alles in allem eine wirklich tolle Sache!

Foto Galerie

Prachtwerk, Ganghoferstraße 2, 12043 Berlin

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