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80 Prozent der Brauarbeit besteht aus Putzen

Wo Craft-Bier noch Handarbeit ist: Für die Herstellung seines Kiezbieres arbeitet Braumeister Christoph Flessa oft 80 Stunden die Woche.
Wo Craft-Bier noch Handarbeit ist: Für die Herstellung seines Kiezbieres arbeitet Braumeister Christoph Flessa oft 80 Stunden die Woche. Zur Foto-Galerie
Seit 2015 schreibt der Friedrichshainer Zeitzeiger für alle Neugierigen aus einem Bezirk, den Hausbesetzer, Shisha-Bars und Designerläden gleichermaßen prägen. Heute: der Kiezbrauer Christoph Flessa über Craft-Bier und Klinkenputzen. 

Es gibt noch Häuser in Friedrichshain, die sehen ganz normal aus – ohne pastellfarbene Fassaden, Wechselsprechanlagen, angeklebte Fahrstühle und ausgebaute Dachgeschosse. Hier findet sich auch noch die Mischung aus einfachem Wohnen und richtigem Gewerbe, kein Galerie- und Fummelschnickschnack. In einem solchen Haus in der Petersburger Straße 39 hat sich seit 2012 in den Räumen einer ehemaligen Fleischerei eine kleine Brauerei etabliert.

Ich bin von den Brauereiräumen fasziniert: In einem sauber blitzenden Kessel häuft sich ein Berg aus einer graugrünen, krümeligen Masse auf. In den Ecken stehen ebenfalls blitzblanke, hohe Tanks auf kleinen Rädern. Einige sind mit Messuhren ausgestattet und an eine Steckdose angeschlossen. Es riecht stark nach Malz und Hopfen. In einem Kühlraum stehen weitere Tanks, im zweiten Hof sogar richtig hohe. Warum er sich gerade hier niedergelassen hat, frage ich den Besitzer Christoph Flessa. „Ich wohne hier in der Gegend und meine Kinder gehen in die Schule um die Ecke. Da bot es sich an.“

Getreide in bester Qualität gehört zu den Grundstoffen eines guten Bieres. ©Anne Winkler

Die Steuerbehörde braut mit

„Jeder Sud unterliegt der Biersteuer und muss mindestens eine Woche vor dem Brauen angemeldet werden“, erklärt Christoph Flessa. Wer glaubt, Brauer sind wohlbeleibte, stiernackige Herren mit roten Knollennasen in Lederschürze und Holzpantinen, wird beim Anblick des eher unauffällig wirkenden, schlanken und lebhaften Mannes mit Pullover, Jeans, Turnschuhen und kurzen Haaren vielleicht enttäuscht sein. Dafür wird man durch die angenehme Plauderei des Brauereiinhabers entschädigt, der sich der Tatsache bewusst ist, als Brauer im Kiez etwas Besonderes zu sein. „Bis zu 200 Liter darf jeder pro Jahr brauen. Aber angemeldet muss es sein. Andernfalls kann es dir gehen wie Uli Hoeneß.“ Und feixend fügt er hinzu: „Du bekommst beim Steueramt einen Aktenvorgang und dann warten die darauf, bis du die 200 Liter überschritten hast.“

Christoph kommt aus Bochum, aber später verschlug es ihn nach Berlin. Warum? Er strahlt: „1990! Die Mauer war auf! Das waren wunderbare, wilde Zeiten!“ Ab 1999 blieb er für acht Jahre in Mexiko und arbeitete dort unter anderem als Deutschlehrer. Eigentlich wollte er dort eine Brauerei aufmachen. Die ersten nötigsten Kenntnisse hatte er sich dort erworben. Doch nahm ab 2007 die Gewalt in Mexiko unglaublich zu: Schutzgelderpressung, Entführungen. „Meine Frau und ich zogen wieder nach Berlin.“ Hier probierte er weiter Braurezepte aus, erst auf dem Balkon, dann im Keller und schaffte sich Apparaturen wie eine kleine Abfüllanlage an.

Nicht nur Klinken sondern auch Kessel putzen

Das Knowhow und vor allem das Kapital für den Start zu bekommen, war gar nicht so einfach. Doch mit Unterstützung eines Freundes ging es dann mit zwei 50-Liter-Braukesseln los. Zuerst waren es drei Braugänge, später vier oder fünf pro Monat. „Ich bin dann mit meinen Flaschen losgezogen und hab überall gefragt: ‚Wollt ihr nicht mal mein Flessa-Bier probieren?'“ Bald fand sich ein Abnehmer, der auch Fassbier genommen hat. „Das Brauen selbst dauert nur acht Stunden, zusammen mit Schroten und putzen“, erklärt der Brauer. „80 Prozent der Brauarbeit besteht aus Putzen. Wenn du Putzen nicht magst, dann brauchst du auch nicht Brauer zu werden.“

5 der 6 Craft-Bier-Sorten der Flessa-Brauerei - natürlich mit Berliner Bär! ©Anne Winkler

Der Bio-Hopfen kommt wie das Malz aus Nordbayern. „Es gibt keine Mälzerei mehr in Brandenburg! Ich kann gar nicht regional produzieren!“ Dafür wird es bald Bio-Malz sein, so dass er Bio-Bier anbieten kann. Handarbeit bei der Lebensmittelherstellung wird nicht gerade honoriert. „Die Bereitschaft bei der Gastronomie, teures Bier zu kaufen, hält sich in Grenzen.“ So ist es auch bei den Kunden. „Leider, die Deutschen geben vergleichsweise wenig Geld für Lebensmittel aus. Dafür haben sie die teuersten Küchen mit allen Schikanen.“ Sechs Sorten Bier werden in der Flessa-Brauerei gebraut. Das Pilsner ist naturbelassen und ungefiltert trübe. Vorbei sind die Zeiten, in denen trübes Bier als minderwertig galt. Heute steht es für die besondere Qualität kleiner Brauereien.

Nicht jedes Craft-Bier ist Kiezbier

„Die Konkurrenz hat sehr zugenommen“, klagt der Brauer. Alle verkaufen jetzt Craft-Biere. „Craft heißt ja eigentlich Handarbeit“, erklärt Christoph Flessa. „Aber das wurde dann irgendwann umgedeutet in Bier mit besonders starker Würze.“ Nun verkaufen pfiffige Betriebswirte, die ihre Büroadressen in den Kiezen haben, sogenanntes Craft-Bier, das sie aber meistens in großen Industriebrauereien kostengünstig nach eigenem Rezept irgendwo herstellen lassen. „Kiezbrauereien sind die jedenfalls nicht.“ Dafür bietet Christoph Flessa auch Brauereikurse an. „Das ist mein zweites Standbein, ohne diese würde ich es nicht schaffen.“

Erste tägliche Handgriffe beim Öffnen der Brauerei. ©Anne Winkler

Nicht nur Selbständige im kreativen Bereich haben lange Arbeitszeiten und sind schlecht bezahlt. „Sechzig Stunden Arbeit in der Woche sind für mich nicht ungewöhnlich, manchmal auch siebzig.“ Ein Handwerk, das seine Leute ohne Mühe ernährt, muss erst noch erfunden werden. Umso mehr ist jenen zu danken, die ihre Anstrengungen darauf richten, mit ihrem Gewerbe etwas Originelles in sehr guter Qualität herzustellen. Man kann Christoph Flessa wünschen, sich zu behaupten und viele Freunde für seine Biere zu gewinnen.

 

Den ganzen Text findest du auf der Website des Friedrichshainer Zeitzeigers, wo er zuerst erschienen ist.

Der Friedrichshainer Zeitzeiger liegt als gedrucktes Magazin in vielen Kiezeinrichtungen aus. Mit dabei sind zum Beispiel die Berliner Missionsbuchhandlung, das Restaurant Budike, die Alte Feuerwache oder Fräulein Beckers Lieblingsapotheke. Alle Artikel findest du auch online auf der Homepage zum Heft: www.fhzz.de .

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Quelle: externe Quelle

Flessa-Brauerei, Petersburger Straße 38, 10249 Berlin

Telefon (030) 23 47 08 31

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