Berliner Wohnzimmer werden zur Bühne

Oper in der guten Stube

Hetna Regitze Bruun, Clemens Göschel-Hund und Dénise Beck (v. l. n. r.): drei der vier Mitglieder des Ensembles, das Berliner Wohnzimmer zur Opernbühne macht
Hetna Regitze Bruun, Clemens Göschel-Hund und Dénise Beck (v. l. n. r.): drei der vier Mitglieder des Ensembles, das Berliner Wohnzimmer zur Opernbühne macht
Eine dänisch-deutsche Gruppe von Musikern bringt die große Oper in Berliner Wohnzimmer. Anstelle von riesigen Flachbildfernsehern sorgen waschechte Sänger und Instrumente für beste Unterhaltung in den eigenen vier Wänden.

Hört sich sehr persönlich an, dieses Aufführungsumfeld. So mit dem eigenen Kinn unmittelbar am Knie des Sängers. Hetna Regitze Bruun lacht. Ganz so hautnah sei es nicht, sagt sie. „Vor allem lagen wir selbst auf den Knien, als wir was aus Humperdincks Oper ‚Hänsel und Gretel‘ gesungen haben.“ Aber die vorderste Stuhlreihe stand tatsächlich direkt an der Bühne. Genauso ist das auch beabsichtigt beim von Bruun erfundenen Opernabend in heimischer Wohnstube, genannt „Home Opera“, der vor Kurzem Premiere hatte. Kein Orchestergraben, keine Distanz zwischen Zuschauersaal und Bühne, keine Hemmschwelle. Jeder Atemzug, jeder Seufzer der Zuhörer ist für die Sänger hörbar. Und die Leute in der ersten Reihe können bei dramatischen Duetten einen Schirm aufspannen.

Aber wo soll in dieser hübschen, hellen, aber nur aus zwei Zimmern plus Küche und Bad bestehenden Wohnung in Prenzlauer Berg eine Bühne herkommen? Ganz einfach, dazu dient das nur wenige Zentimeter hohe Podest im Erker, wo ansonsten die Möbel stehen: ein Sessel, eine Lampe und der Fernseher. „Genau hier müsste man Oper spielen!“, hat Hetna Regitze Bruun der dänischen Freundin, die hier wohnt, vorgeschlagen, als sie zum ersten Mal bei ihr Kaffee trank. Gesagt, getan. Mittlerweile fand in der Wohnung die Premiere der Home Opera statt. Mit einem winzigen Ensemble, 50 Zuschauern im Wohnzimmer, der Bar in der Küche und der Künstlergarderobe im Schlafzimmer.

Keine Angst vor Opern

Das Heimoper-Ensemble besteht aus drei Dänen und einem Deutschen: Mezzosopranistin Bruun und Sopranistin Dénise Beck stammen beide aus Kopenhagen, der Bariton Simon Duus ist ebenfalls Däne, nur ihr Pianist Clemens Göschel-Hund kommt aus Waldsieversdorf. Er hat ein Studium an der Musikhochschule Hanns Eisler absolviert und lebt jetzt mit Beck in einer Musiker-WG in Weißensee. Die jungen Musiker verdienen ihr Geld mit professionellen Engagements in Dänemark, Wien oder bei den Bregenzer Festspielen.

Darüber hinaus haben sie ein Ziel, das viele aus ihrem Fach teilen: „Wir wollen zeigen, dass man vor Oper keine Angst haben muss“, sagt Dénise Beck. Sie selbst habe früher eher Rock gehört und erst verspätet zur Klassik gefunden, erzählt die fließend Deutsch sprechende Dänin. Oper kann cool sein, und sie ist einfach liebenswert – so lautet die Quintessenz ihrer leidenschaftlichen Rede für das Musiktheatergenre, das häufig für altmodisch gehalten wird. Ihre Kollegen stimmen aus vollem Herzen zu.

Trotz innovativen Häusern wie der Neuköllner Oper sei das Klassik-Publikum immer noch sehr konservativ, finden die drei. Im Musiktheater passiere im Vergleich zur übrigen Kunstszene wenig Neues, sagt Bruun. „Wir müssen neu denken und ein neues Publikum gewinnen“, ergänzt Beck. Berlin sei mit seiner Subkultur dafür gut geeignet. Und Auftritte in Privatwohnungen erfreuen sich ja auch bei Popmusikern oder Literaten wachsender Beliebtheit.

Mehr Spaß, weniger Förmlichkeit

Bruun, die jahrelang abwechselnd in Berlin und Kopenhagen lebte und sich erst vergangenen August mit ihrer Tochter in Mitte niedergelassen hat, etablierte schon 2003 in ihrer Heimat eine Art „Oper für Nicht-Operngänger“, genannt „Stand-up Opera“. Diese kam auch schon mit wenig Geld, kleinen Ensembles und ohne Konzertsaal aus, doch als Auftrittsort wurden Gastwirtschaften genutzt, keine Wohnstuben. Die Home Opera dagegen vereint witzige Moderationen mit einem Repertoire von Mozart und Wagner bis zum Belcanto und theatralischen Darbietungen, wie sie in Wohnungserker passen. Die Inszenierungen sollen Qualität haben und gleichzeitig Spaß machen. Auch dem Pianisten und den Sängern. „Für uns ist das nicht so ein Druck wie bei klassischem Liederabend und die Leute können ruhig mal mit den Bierflaschen klirren“, sagt Bruun.

Wer sich die Home Opera ins Wohnzimmer holen möchte, braucht nur einen Raum und Möbel, in jedem Fall ein Klavier und vorzugsweise hohe Wände samt Holzdielen, die sich positiv auf die Akustik auswirken. Die Nachbarn werden selbstverständlich informiert, und um sie nicht überzubeanspruchen, endet jede Home Opera spätestens um 22 Uhr. Für die nächste Aufführung am 24. August kann man seinen Platz jetzt reservieren. Und damit die Sache auch den Nimbus des Geheimnisvollen und Spontanen behält, erfährt jeder Besucher, der sich per Mail mit vollem Namen registriert hat, erst am Morgen der Veranstaltung den Spielort.

Home Opera, 24. August, 20 Uhr, 10 bis 20 Euro, Infos und verbindliche Anmeldung: www.homeopera.net


Quelle: Der Tagesspiegel

Oper in der guten Stube, Danziger Straße 69, 10435 Berlin

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