Carl Jakob Haupt schreitet selbstbewusst durch die Tür des Lucky Stars in Mitte, setzt sich an einen der hinteren Tische des Restaurants und bestellt ohne in die Karte zu schauen die Nummer 86: Reis mit Tofu, Gemüse und einer Gong-Bao Sauce. „Das ist der beste Chinese der Stadt“, erzählt uns der Blogger von Deutschlands bekanntestem Männermode-Blog Dandy Diary, während wir bei japanischem Bier auf unser Essen warten.
Jakob, der erst seit vier Jahren in Berlin wohnt, ist früher oft an dem Restaurant vorbeigelaufen, hat dem Laden aber nie Beachtung geschenkt. Vor zwei Jahren hat er dann den Künstler Ai Weiwei in dem Restaurant essen sehen: „Wenn der wichtigste chinesische Künstler hier isst, kann das so schlecht nicht sein.“ Seitdem kommt Jakob ein bis zweimal die Woche hier her und bestellt immer das Gleiche – die Nummer 86. Vielleicht ja seine Glückszahl?
Golduhr und weißer Nagellack
Es ist ein typischer grauer Berliner Aprilnachmittag. Jakob trägt trotzdem eine Pilotenbrille mit farbigen Gläsern. Dazu schwarze Vans und einen blauen Hoodie. Am Hangelenk entdecken wir eine Golduhr, am Finger goldene Schlagringe und weißen abgeblätterten Nagellack. Auf der Rückseite seiner Levis Jeansjacke ist ein rosafarbenes, zwinkerndes Schwein zu sehen: Das Logo des veganen Fast Food Imbisses Dandy Diner.
Den Imbiss eröffneten sein Kumpel David und er letztes Jahr in Neukölln. Es gab so einen Run, dass auch die Polizei vorbeischaute. Mittlerweile mussten sie den Laden aber wegen Unstimmigkeiten mit dem Investor wieder schließen. Im Sommer soll eine neue Filiale in Kreuzberg eröffnen: „Das weltweit operierende Fast Food Unternehmen Dandy Diner steht noch“, weiht uns Jakob in seine Pläne ein. Mit veganen Burgern, Bowls und einem neuen Partner im Gepäck wollen sie es noch einmal in der Welt der Gastronomie versuchen: „Das wird auf jeden Fall der beste Ort in Kreuzberg sein“, sagt er überzeugt.
2009 gründete der studierte Modejournalist David Roth den Blog Dandy Diary, wenig später kam Jakob dazu. Seitdem mischen Jakob und David, die sich aus der gemeinsamen Schulzeit in Kassel kennen, die für sie verstaubte Modebranche auf: Mit künstlerisch-kritischen Aktionen wie einem Mode-Porno, den Dandy Diary zur Fashion Week in einem Sexkino in Neukölln zeigten oder einem nackten Flitzer auf der Modenschau von Dolce & Gabbana sorgen die Jungs für Aufregung in der Modeszene.
Wenn dann Schampus
Aufregende Nächte hingegen finden für Jakob vor allem in der King Size Bar statt, die sich nur wenige Meter vom Lucky Star befindet. Schon von Weitem winkt der Türsteher Frank dem Modeblogger zu. Die winzige Bar in der Friedrichstraße gehört Freunden von Jakob und ist für ihn, der sich selbst als „professioneller Trinker“ bezeichnet, Anlaufpunkt. „In der Modebranche muss man zwangsläufig trinken, das wird von einem erwartet. Auf allen Veranstaltungen gibt es kostenlose Getränke.“ Im King Size trinkt der 32-jährige nur Champagner, denn alles andere sei ihm zu süß.
Das Berliner Nachtleben ist quasi Jakobs zweites Zuhause, denn die Dandy Diarys Eröffnungspartys der Berliner Fashion-Week gelten mittlerweile als legendär. Dandy Diary Death Fest – so lautete die letzte, gnadenlos überlaufene Party im Januar: Zur eigenwilligen Deko gehörten Totenköpfe, Särge und blutige Schafsköpfe. Death Metal Bands sorgten für harte Klänge und direkt neben dem Eingang verpassten Tätowierer den Besuchern eine passende Körperverzierung. „Die Gäste sollten in eine Welt eintauchen, die sie so noch nie erlebt hatten.“
Trends aus den 2000er sind wieder zurück
Bei einer Tasse Kaffee im Café Bravo, das im Hof der KW Institute for Contemporary Art liegt, sagt uns Jakob dann etwas sehr unerwartetes: „Mode? Die hat mich nie wirklich interessiert. Die intellektuelle Tiefe in der Modebranche ist einfach nicht besonders“, stellt der Fashion-Blogger fest. Nichtsdestotrotz weiß Jakob über die neusten Modetrends Bescheid: „Wir stecken im Early-2000er-Revival: Prollige Marken wie Ed Hardy und Juicy Couture oder die berühmte Schnellfickerhose von Adidas sind wieder angesagt.“ David und er glauben außerdem fest daran, dass mit Strasssteinen besetzte Jeansjacken bald den Weg in unseren Kleiderschrank finden werden.
Wir laufen weiter die Friedrichstraße hoch, spazieren an der Spree entlang, vorbei am Grill Royal, in dem sich Jakob gerne mit anderen „Medienleuten“ trifft. Und von denen gibt es hier viele, schließlich ist die Hauptstadt DIE Bloggerstadt. „Berlin ist cool. Alle wollen das Image von Berlin“. Dennoch sei Berlin keine Modestadt, denn abgesehen von Zalando könne sich Berlin mit keinem wirtschaftlich relevanten Business schmücken, sinniert Jakob. Das gehöre zu einer Fashionmetropole im klassischen Sinne dazu und halte die Branche am Leben. Er selbst bekommt den Großteil seiner Klamotten natürlich von den großen Marken gesponsort. Als Markenfetischist würde er sich trotzdem nicht bezeichnen. „Mein Opa fragt mich immer, wie viel Geld ich dafür bekomme, dass ich als Litfaßsäule rumlaufe“, erzählt er und lacht.
Hipster sind out
Schließlich zeigt uns Jakob seinen Lieblingsort im Kiez: das alte Ostberliner Pilslokal Quelleck. Ausgestattet mit Berlins ältester Bierzapfsäule ist die Bar eine waschechte Eckkneipen-Institution. Ein typisches Hipster-Lokal also? „Die Figur des Hipsters ist mittlerweile out“, denn für einen Mann wie ihn gibt es seiner Meinung nach noch keine passende Zuschreibung.
Ein Mann wie er sorgte jedenfalls schon für handfeste Skandale: 2014 drehte das Blogger-Duo ein Schock-Video, das vermeintlich zeigt, wie indische Kinder in einer Fabrikhalle die Alexander Wang Kollektion für H&M nähen. Das Video sorgte für einen Aufschrei in den sozialen Netzwerken. Der schwedische Mode-Riese ging schließlich juristisch gegen Dandy Diary vor. „Provozieren wollen wir gar nicht unbedingt“, meint Jakob. Trotzdem seien die losgelösten Skandale der angenehme Nebeneffekt, um auf gewisse Missstände hinzuweisen. „Nur Provokation wäre langweilig – Da würde ich mich vor eine H&M Filiale stellen und dahin pissen: Aber was wäre die Aussage dahinter?“
Die radikalen Aktionen, die lauten Partys und das Spiel mit der ironischen Inszenierung, all das verliert an Bedeutung, als wir zum Dorotheenstädtischen Friedhof gelangen. Auch die Hektik rund um die Friedrichsstraße ist plötzlich vergessen. Der Pfarrerssohn Jakob zeigt uns die Ruhestätte von Bertold Brecht und Heinrich Mann, die hier neben anderen berühmten Namen beigesetzt wurden. Religiös ist Jakob zwar nicht, Interesse zeigt er trotzdem: „Natürlich ist Nächstenliebe wichtig – die Liebe zu sich selbst aber auch!“ Jakob ist sich sicher, dass Religion neue Impulse gebrauchen könnte: „Dandy Diary wird sich bestimmt noch auf der einen oder anderen Art mit dem Thema Religion befassen.“
Wir dürfen also gespannt sein. Die nächste Party steht jedenfalls schon vor der Tür: Jakob und David werden zur Eröffnung der documenta 14 am 10. Juni in ihre Heimatstadt Kassel zurückkehren und dort in einer ehemaligen Tofu-Fabrik für einen Dandy Diary-typischen, fulminanten und mit Sicherheit aufsehenerregenden Auftritt sorgen.
Der Ausnahmekünstler verstarb am Karfreitag nach dreijährigem Kampf gegen eine Krebserkrankung. Am 24. April veröffentlichte seine Frau Giannina Haupt einen Nachruf auf Instagram.