Das ist doch mal ein Service: Zu unserem gemeinsamen Kiezspaziergang durch Konradshöhe bringt Autorin Daniela Böhle ein zweites Fahrrad mit. „Ohne kommt man hier nicht weit“, erklärt die 46-jährige gebürtige Kölnerin, die seit über 15 Jahren in Berlin zu Hause ist. „Vorher lebte ich in Bonn in einer WG und irgendwie gingen auf einmal alle nach Berlin – nicht nur die Regierung, sondern auch viele Freunde. Erst dachte ich, ich gucke mir die Stadt einfach mal an, scheint spannend zu sein. Und dann bin ich geblieben.“
Den Berliner Literaturfans dürfte die große Frau mit dem ansteckenden Lachen vor allem durch ihre langjährige Mitgliedschaft in der legendären Reformbühne Heim & Welt bekannt sein. Nach einem Bühnen-Sprung ins kalte Wasser („Nach meinem ersten Besuch war klar: Ich möchte die Leute hier auf Augenhöhe kennenlernen, nicht nur als Gast!“) löste die lesebegeisterte Daniela 2001 den bekannten Autor Bov Bjerg (Auerhaus) als festes Lesebühnenmitglied ab. Und trug bis 2008 an der Seite von Wladimir Kaminer und Jakob Hein wöchentlich selbstverfasste Texte vor.
Danielas erstes Jugendbuch
Der Literatur ist sie auch nach ihrem Ausstieg treu geblieben. Nach mehreren Geschichtensammlungen (zum Beispiel dem Amokanrufbeantworter) ist gerade ihr neuestes Werk Mein bisher bestes Jahr in die Buchläden gekommen. Geschrieben hat sie das Jugendbuch gemeinsam mit ihrem Sohn Julius – dem sie mit der gemeinsamen Arbeit mehr Lust aufs Lesen machen wollte. „Er hat mir den Input gegeben, was er gerne lesen würde. Über Prügeleien oder Schülerstreiche zum Beispiel. Ich habe mir dann was ausgedacht und am Ende hat Julius entschieden, ob Daumen hoch oder runter“, erzählt Daniela, die ursprünglich Medizin studiert hat und heute unter anderem Fachbücher lektoriert.
Berlin kennt die Autorin trotz ihres recht abgeschiedenen Wohnortes übrigens gut: Bevor es sie vor acht Jahren in den wohl idyllischsten Teil Reinickendorfs verschlagen hat, musste sie zigmal umziehen, lebte mit Julius unter anderem in Mitte, Steglitz, Schöneberg. In Reinickendorf wurden sie endlich sesshaft – inzwischen um einen Partner und eine kleine Tochter reicher. Zunächst verliebte sich die Familie in Tegelort, nach vier Jahren zog man dann ein paar hundert Meter weiter nach Konradshöhe.
Kiezgeschichten aus Tegelort & Konradshöhe
„Es fühlt sich fast an wie auf dem Dorf – nur eben mit richtigen Berlinern“, schwärmt Daniela. „Hier leben Alteingesessene neben lesbischen und schwulen Pärchen, Künstlern und Schriftstellern. Es ist total beschaulich aber überhaupt nicht spießig.“ Eine besondere Mischung, die schöne Kiez-Geschichten mit sich bringt: Einmal habe eine Dame ihren Hund vor dem Supermarkt vergessen und nach ein paar Minuten sei er einfach bei ihr am Gartenzaun vorbeigebracht worden, lacht die Autorin. Auch von einer Nachbarin, die im Sommer regelmäßig im Bademantel zum Ufer schlendert, erzählt sie gerne. Schließlich fasst das den Charakter des Ortsteils ganz gut zusammen. Genau wie die Busse, die für winkende Rentner einfach mal am Straßenrand halten.
„Hier wohnen die, die hier schon immer gewohnt haben. Sie erzählen dir zum Beispiel, dass früher der ganze Uferstreifen voller Ausflugslokale war und es hier sogar ein kleines Kino und eine Straßenbahnverbindung gab.“ Mittlerweile kann Daniela mit den Geschichten mithalten. Und weiß, dass ein reicher Fabrikant die Wohnlage aus dem Boden stampfte. Für sechs Pfennige je Quadratmeter und mit seinem Sohn Konrad als Namenspaten.
„Anfangs habe ich gesagt, ich ziehe hier nur hin, wenn der Nachtbus fährt“, lacht Daniela, die immer noch gerne in der Stadt unterwegs ist und Friedenau als alternativen Wohnort nicht ganz ausschließt. In Sachen Anbindung hatte sie Glück: „Es gibt hier eine Busverbindung. Und die fährt sogar nachts alle halbe Stunde. So komme ich auch spät noch nach Hause.“
Das Internat auf einer Insel
Warum es einen überhaupt in die Innenstadt zieht, könnte man bei unserer Fahrradtour entlang der Havel glatt vergessen. Ein idyllischer Uferweg führt vorbei an hübschen Häuschen, Bootsverleihen, zahlreichen Badestellen und einigen Ausflugslokalen wie der frisch herausgeputzten Eagle Lodge. Auch die einzige Autofähre Berlins oder das Internat auf der Insel Scharfenberg machen den Kiez zu etwas ganz Besonderem.
Zu der Lehranstalt – in der Daniela schon Kreatives Schreiben unterrichtet hat – kann sie wieder etwas Interessantes zum Besten geben: „1867 ist ein Botaniker auf die Insel gezogen und hat Bäume aus der ganzen Welt angepflanzt. Manche stehen immer noch, denn auf der Insel herrscht irgendwie ein ganz eigenes Klima“, erzählt sie. Später sei hier ein Lehr- und Sommerlager entstanden, das schließlich zum Internat inklusive Schul-Bauernhof ausgebaut wurde. Heute werden auf der Insel auch viele Tagesschüler – darunter Danielas Sohn Julius – und Kinder aus aller Welt unterrichtet.
Nach einem Abstecher zum beliebten Strandbad, einer Bärlauch-Kostprobe und einer schönen Radtour durch den Tegeler Forst verabschieden wir uns schließlich von der Autorin. Und sind dabei ein klitzekleines bisschen neidisch auf ihren Wohnort zwischen Wasser, Wald und Kopfsteinpflaster.
Übrigens: Lesung und Buchpremiere von Mein bisher bestes Jahr finden am 24. Juni 2016 im Krumulus am Südstern statt. Der Eintritt ist frei.