Gestutzte Hecken, gepflegte Vorgärten, opulente Villen: So in etwa sah sein Kiez aus, als Max Frisch 1973 in die Sarrazinstraße nach Berlin zog. Und – Überraschung – so sieht es noch heute aus in Friedenau. Was gerade für Neukölln und Kreuzberg gilt, damit ist Friedenau schon längst durch. Hier gab es schon Zuzug von Besserverdienern, bevor man überhaupt wusste, was Gentrifizierung ist. In den 70ern war der Stadtteil hip und angesagt, weil Intellektuelle, Künstler und Schriftsteller ihn zum kulturellen Hot-Spot der Hauptstadt machten.
Big in Berlin
Als Max Frisch 1973 in die Sarrazinstraße 8 zog, war er kein junger Student oder Hipster-in-Spe. Er wollte nicht „big in Berlin“ werden, er war es längst. Stiller, Homo faber und Gantenbein waren bereits Riesenerfolge, mit Anfang 60 war der Schweizer ein berühmter Schriftsteller. Nach Berlin kam er, weil er seine Heimatstadt Zürich irgendwie über hatte, so ist es im Nachwort des Berliner Journals nachzulesen.
Spannender als das Nachwort – „Das Nachwort kann ja Stellung nehmen zu den Irrtümern des Autors, den Leser impfen. (Dazu sind diese Nachwörter ja da.)“ – ist aber der Haupttext mitsamt des vorangegangenen Zitates. Frisch lässt sich hier in einem durchkomponierten, druckfähigen Tagebuch-Text über den Berliner Literaturbetrieb, Kollegen und das Schreiben aus. Als Unterbau, immer wiederkehrend, schreibt sich das geteilte Deutschland und die Faszination, das Begreifenwollen gegenüber der DDR, in den Text ein. Frisch sinniert über sein Verhältnis zu Ostberliner Schriftstellerkollegen, verkehrt mit Wolf Biermann und kommt zu Lesungen in den Ostteil der Stadt. Und ständig kreisen seine Gedanken um den kommunistischen Staat: „Denken und Veröffentlichen sind zweierlei; das schärft vielleicht das Denken“, notierte er am 16.4.1973 in sein Tagebuch, das er selbst „Journal“ nannte.
Die Stadt als wichtiger Nebendarsteller
Nicht zuletzt ist das Berliner Journal immer auch ein Berlin-Buch: Die Stadt ist nicht der Main-Act, Schlachtensee und Co tauchen aber immer wieder als sehr überzeugender Nebendarsteller auf. Und dann sind da eben noch solche Beschreibungen der Stadt, die in ihrer Zeitlosigkeit bestechen und noch heute emphatisches Nicken auslösen: „Berlin: Gefühl von Vakuum, die weiten Strassen, es ist angenehm mit dem Wagen zu fahren; steigt man aus, um zufuss zu gehen, so hat man überall das Gefühl, hier findet Berlin nicht statt. Trotz ihrer Breite sind es lauter Nebenstrassen, die nicht mal in ein Zentrum führen…“
Nicht nur Literaturstudenten und Frisch-Jünger finden hier, was sie erwarten. Auch Berlin-Liebhaber und historisch Interessierte dürften mehr als einmal sentimental-sinnierend über den konzisen Beschreibungen des Autors selbst zum Nachdenken angeregt werden.
Max Frisch; Aus dem Berliner Journal, 235 Seiten. Suhrkamp Taschenbuch, 2015; 10 Euro.