Bei Ostdeutschen werden schon auf dem Weg zum Ostel Erinnerungen an früher wach: eine schmale Straße aus Betonplatten, links eine Mauer und rechts ein sechsstöckiger Plattenbau mit kleinen Fenstern, führt hin. DDR-Traurigkeit pur. Auf der Rückseite des Ostbahnhofs kommt es dann, das Ostel, das ganz im Stil des verblichenen Arbeiter- und Bauernstaats designt ist. Ganz in der Nähe des 70er-Jahre-Büroklotzes des „Neuen Deutschlands“ und des 50er- Jahre-Heizkraftwerks, in dem sich heute der Techno-Club Berghain befindet.
Original Retroschick
Früher haben in dem grauen Plattenbau, der sich wie eine Wand aus Beton um einen grünen Hof zieht, Mitarbeiter des Neuen Deutschlands gewohnt. Jetzt leben hier vor allem Migranten und Hartz-IV- Empfänger.
Das Hostel hat einen eigenen Hauseingang, die ehemaligen Wohnungen wurden in Ein- und Zweibettzimmer sowie Vier- bis Sechsbettzimmer aufgeteilt. Innen sieht alles viel freundlicher aus, als man es von außen erahnen könnte. In der Rezeption bedeckt weinrote Auslegware den Boden, entlang der Wände gibt es schwere, dunkelbraune Sofas und vor ihnen einen Couchtisch aus Glas mit einem Strauß rosa Rosen drauf. Hinter der Empfangstheke leuchtet eine braun-orange-grüne 70er-Jahre-Tapete. Feinster Retroschick, der eher an eine szenige Cocktailbar erinnert als an die DDR. Doch schließlich ist dies ein Design-Hostel. „Das Design im Namen ist uns wichtig“, erklärt Guido Sand, einer der beiden Inhaber.
Vom Zirkuskünstler zum „Hostelier“
Früher war er Drahtseilartist beim Staatszirkus der DDR, seit der Wende verdient er sein Geld als Physiotherapeut. DDR-nostalgisch ist er nicht. „Ich war froh, als es zu Ende war“, sagt er. In den Jahren vor dem Mauerfall war er ohnehin viel im Ausland unterwegs. Die Idee, ein Hostel mit DDR-Thema zu machen, war eher pragmatischer Art: ein Hostel wollten er und sein damaliger Zirkus-Kollege Daniel Helbig schon lange eröffnen. Das sollte aber ganz anders sein als die vielen anderen in Berlin. Warum also nicht in die eigene Vergangenheit zurückschweifen? Außerdem ist er der Meinung, dass „DDR-Möbel im Vergleich zu Ikea wenigstens nach was aussehen“.
Nur Originalstücke
Bunte Kommoden aus Holz oder Plastik, klobige Radios in Holzverkleidung, Lampen aus dickem Glas mit Fransenschirmchen, schmiedeeiserne Raumteiler – im Ostel sind alle Zimmer mit Originalstücken eingerichtet. Nur Matratzen und Bettwäsche sind neu. „In den Zimmern soll die Erinnerung der Gäste wach werden“, sagt Sand und erzählt von gerührten Ostdeutschen, die ihre Wohnzimmerlampe oder ihr Radio von früher wieder erkennen. In vielen Zimmern hängt ein Honecker-Porträt überm Bett. Für Guido Sand ist das nur „Verarschung“, für einige Gäste aber gruselig. Sie hängen die Fotos ab und lassen sie im Nachtschrank verschwinden.
Hier hat alles Stil; mehr, als man je in der DDR hätte finden können. Ein Wohnzimmer samt Riesenschrankwand und klobigem Sofa, wie es die Durchschnittsfamilie damals hatte, gibt es im DDR-Museum in Mitte zu sehen. Glücklicherweise gibt es die in den Zimmern des Ostels nicht, die meisten Möbel kommen aus Privathaushalten. Stolz ist Guido Sand vor allem auf die Tapeten. Die haben er und sein Kollege aus staubigen Lagerräumen diverser Händler gekramt.
Die ausländischen Gäste stehen drauf
Und das Retrokonzept kommt gut an. Olivier Aillaud aus Frankreich war nie in der DDR, in Berlin aber schon vier Mal. Vor allem für Ost-Berlin und seine Geschichte kann er sich begeistern. „In so einem Zimmer war ich noch nie“, meint der junge Mann enthusiastisch. „Das ist kein nachgemachtes Retrozeug, wie man es in Frankreich überall kaufen kann, sondern alles echt.“ Nur die Bäder sind komplett neu, weiß gefliest und mit einem Hauch Zitrusfrische in der Luft. Den beißenden Geruch von Reinigungsmitteln, wie man ihn von DDR-Toiletten kennt, braucht ja nun auch keiner.