Das endgültige Ende

Tacheles wird geräumt und versteigert

Noch Mitte August wurde vor dem Tacheles eine Solidaritätskundgebung abgehalten.
Noch Mitte August wurde vor dem Tacheles eine Solidaritätskundgebung abgehalten.
Am morgigen Dienstag kommt das endgültige Aus für das Kunsthaus Tacheles: Das Gebäude in der Oranienburger Straße, dessen Weiternutzung lange umstritten war, soll geräumt und zwangsversteigert werden. Was mit dem Gelände in Zukunft geschieht, hängt vom neuen Besitzer ab. 

An diesem Dienstag um acht Uhr in der Frühe endet aller Voraussicht nach die Geschichte des Kunsthauses Tacheles. Dann stehen der Gerichtsvollzieher und höchstwahrscheinlich die Polizei vor der Tür. „Uns liegt ein rechtskräftiger Räumungstitel vor“, sagt Rechtsanwalt Michael Schultz, der schon über ein Jahr lang versucht, die Räumung des Tacheles durchzusetzen. Der Titel richte sich gegen den Nachfolger des insolventen Tacheles-Vereins. „Wir sind zur Herausgabe verurteilt“, bestätigt auch Linda Cerna, Sprecherin des Tacheles.

Die Räumung ist der Schlussakkord einer 22-jährigen Karriere voller Wendungen und geplatzter Pläne. In der Unübersichtlichkeit der Wendezeit wurde die Kaufhausruine 1990 von Künstlern aus der Umgebung besetzt, um eine vorgesehene Sprengung zu verhindern. Erst acht Jahre später wurde das Tacheles zusammen mit anderen Grundstücken verkauft. Die Fundus-Gruppe plante ein Fünf-Sterne-Hotel, Luxuswohnungen, Büros und Einzelhandel im New Yorker Stil. Aus dem Projekt wurde nichts und die Grundstücke kamen unter Zwangsverwaltung. Im Frühjahr 2011 wurde ein Versteigerungstermin kurzfristig abgesagt.

Bis zuletzt mit 90er-Charme

Die Besetzer schufen im Tacheles in den 90er Jahren einen angesagten Ort für Off-Kultur, mit Kino, Ateliers und Theatersaal. Zunehmend besuchten auch Touristen den bizarren Ort, Kneipen und Werkstätten zogen ein, von lange gehegten Plänen, einen international anerkannten Platz für Kunst zu etablieren, blieb im Laufe der Zeit aber nicht viel übrig. Im Gegensatz zum Rest der Oranienburger Straße, der zur einträglichen Touristenfalle aufpoliert wurde, kultivierte das Haus einen alternativen, antibürgerlichen Stil, der viele Hauptstadtbesucher anzog.

Anwalt Schultz erwartet, dass am Dienstag „Flächen in erheblichem Umfang“ geräumt werden können. Aufgrund „feuerpolizeilicher Mängel“ hätten Besucher ohnehin bereits keinen Zutritt mehr. Es gebe weder Strom noch fließend Wasser. Schultz war in die Schlagzeilen geraten, als er die Betreiber des Kinos im Kunsthaus mit einem Millionenbetrag zum Auszug bewegte. Später überzeugte er wiederholt einzelne Nutzer mit Hilfe von Barbeträgen davon, die Ruine zu verlassen. Seinen Auftraggeber möchte er nicht preisgeben.

Investor Harm Müller-Spreer, der das Land bei der Entwicklung des Spree-Dreiecks kräftig zur Kasse gebeten hatte, steckt jedenfalls nicht dahinter: „Das wäre rausgeschmissenes Geld“, erklärte er auf Anfrage. Die Zwangsversteigerung des Geländes sei bereits terminiert und die zu erwartende Bieterschlacht ein „völlig offenes Rennen“.

Künstler geben auf

Das Haus steht unter Denkmalschutz, doch die Tacheles-Künstler fallen nicht darunter. Die verbliebenen Nutzer haben alles versucht und juristisch um jeden Fleck des Hauses und der großen Freifläche im Hof gekämpft. Es kam zu Auseinandersetzungen mit einer privaten Wachschutzfirma, die im Auftrag von Schultz geräumte Flächen bewachte. Im Durchgang zum Innenhof wurde eine Mauer errichtet. Vor einigen Wochen gaben sich die Künstler geschlagen, nachdem mehrere Hilfsappelle an den amtierenden Kultursenator Klaus Wowereit (SPD) unerhört blieben.

Nach dem Rausschmiss der Künstler dürfte sich der Wert der Immobilie um etliche Millionen Euro erhöhen. 2011 veranschlagte das Amtsgericht Mitte den Verkehrswert der 25.000 Quadratmeter bester Innenstadtlage bei 35 Millionen Euro. Da der Baumarkt für hochwertige Wohnungen und Hotels derzeit boomt, ist das Tacheles-Quartier eine wahre Perle.

Nur die Bebauungspläne für das Areal müssten aus Sicht von Müller-Spreer geändert werden. Unten Büros, oben Wohnungen – diese Mischung sei nicht mehr zeitgemäß. Auch müsste die Zahl der Wohnungen steigen. Wäre das Grundstück nicht auch wunderbar für ihn geeignet? „Das hängt vom Preis ab“, sagt er. Der Markt habe sich erholt, „und wer weiß, bei welchem Preis der Hammer fällt, wenn ein Russe oder ein arabischer Investor kommt“. Unterdessen kündigte Tacheles-Sprecherin Cerna an, dass gegen die Räumung nicht gewaltsam vorgegangen werde. Ganz ohne ein Happening wird die Herausgabe des legendären Hauses aber sicher nicht vonstattengehen.


Quelle: Der Tagesspiegel

Kunsthaus Tacheles, Oranienburger Str. 52, 10117 Berlin

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