Rote Fahnen sieht man besser, es sei denn, man dreht einen Film in Schwarzweiß. „Rote Farbe kommt im Film schwarz“, erzählte der Maler Otto Nagel von den Dreharbeiten zu Phil Jutzis „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“, zu dem er das Exposé geschrieben hatte. „Um den Ton des Rot richtig zu erhalten, wäre es gut gewesen, grüne Fahnen zu nehmen. Unsere Demonstranten – echte Weddinger Proleten – lehnten es ab, unter grünen Fahnen zu marschieren. Wir mussten uns schon bequemen, eine andere Lösung zu finden.“
Nagel verrät nicht, worin diese Lösung bestand. Der Zuschauer, der die proletarischen Massen demnächst wieder über die Leinwand marschieren sieht, sollte sich aber klar sein: Der Wille zur Authentizität stieß auch beim proletarischen Kino der zwanziger Jahre auf Grenzen.
Sozialdrama, Glamour und Asphalt
Die Reihe beginnt mit „Menschen untereinander“ (1926) von Gerhard Lamprecht – ein Sozialdrama am Beispiel eines Berliner Mietshauses, dessen Bewohner einen Querschnitt der Gesellschaft darstellen: unten Juwelier und Anwalt, oben Ballonverkäufer und arbeitsloser Klavierlehrer, dazwischen Tanzschule und Heiratsvermittlung. „Menschen untereinander“ war, wie weitere Filme Lamprechts, von Heinrich Zilles Milieustudien inspiriert und vom Maler auch unterstützt – man sprach damals sogar von „Zille-Filmen“. Lamprecht konnte aber auch anders: 1931 drehte er „Emil und die Detektive“.
Der Welt des Glamours am nächsten kommt noch „Abwege“ von G. W. Pabst (1928) – die Geschichte einer Ehekrise, der die frustrierte Frau ins Berliner Nachtleben zu entfliehen sucht – ein vergebliches Bemühen, doch nach vollzogener Scheidung findet das Ehepaar überraschend doch wieder zueinander.
Das Laster lockt auch in Joe Mays „Asphalt“ (1929), in dem man neben Gustav Fröhlich als wackeren, doch gegen Versuchungen nur unzulänglich gefeiten Wachtmeister und Betty Amann als verführerischer Juwelendiebin auch einen noch ziemlich dürren Hans Albers als Taschendieb erleben kann. Asphalt – das ist hier geradezu eine Metapher für den Sumpf der modernen Metropole, zugleich aber eine klebrige schwarze Masse, die in der an Walter Ruttmanns „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“ erinnernden Eingangsszene Arbeiter mühsam in Handarbeit zum Straßenbelag feststampfen.
„Menschen untereinander“, 2.11.; „Abwege“, 9.11.; „Asphalt“, 16.11.; „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“, 23.11., jeweils 18 Uhr. Kino in der Brotfabrik, Caligariplatz 1 in Weißensee, Tel. 471 4001. Die Ausstellung „Tanz auf dem Vulkan – Das Berlin der zwanziger Jahre im Spiegel der Künste“ ist noch bis zum 31. Januar im Ephraim-Palais, Poststraße 16 in Mitte, zu sehen (Di, Do–So 10–18 Uhr, Mi 12–20 Uhr)